Erste arabische Regisseurin
Moufida Tlatli ist in Tunis 74-jährig gestorben.
Moufida El-Talatli gehörte zu den herausragenden Frauen des Kinos, nicht nur im arabischen Raum, wo sie die erste Frau war, die Regie führte in einem eigenen Spielfilm. 1947 im tunesischen Sidi Bou Saïd geboren, hat sie ihre Studien 1966 bis 1968 in Filmmontage an der renommierten Filmschule IDHEC (Institut des Hautes Etudes Cinématographiques) in Paris absolviert. Sie war für den Schnitt zahlreicher Filme verantwortlich, darunter für die Spielfilme wie Merzak Allouaches «Omar Gatlato» (Algerien, 1977), Farouk Belloufas «Nahla» (Algerien, 1979), Taïeb Louhichi «Dhil el Ard» (L'Ombre de la terre, Tunesien, 1982), Michel Khelifis «Mémoire fertile» und «Le cantique des pierres» (Palästina, 1980 und 1990). Sie arbeitete auch mit den Tunesiern Mahmoud Ben Mahmoud («Traversées», 1982, Ferid Boughedir («Halfaouine», 1990), Abdellatif Ben Hammar («Aziza», 1980). Für Nacer Khemir montierte sie dessen Erstling «Al-hâ'imoû» (Les baliseurs du désert), den trigon-film in restaurierte Fassung letztes Jahr wieder zugänglich gemacht hat. Die punktuelle Aufzählung von Moufida Tatlis Arbeiten mit Regisseuren, die die Entwicklung des Kinos im Maghreb und darüber hinaus geprägt haben, zeugt allein schon von ihrem herausragenden Talent als Filmtechnikerin.
Doch erst als Regisseurin sollte sie richtig bekannt und anerkannt werden. 1994 realisierte Moufida El-Talatli, die sich Tlatli nannte, ihren ersten Spielfilm in eigener Regie: «Les silences du palais» (Samt al-Qusur - Palast des Schweigens). Sie begibt darin auf eine faszinierende Reise in die jüngere Vergangenheit, auf eine Reise in die dunkleren Tiefen der arabischen Gesellschaft. Neben dem Schweigen prägt "Chaifa", die Angst, Tlatlis Film. Die erwachsene und als Sängerin äusserst erfolgreiche Alia reist in der Gegenwart zurück in jenen Palast, aus dem sie zehn Jahre zuvor geflohen war. Ihre Mutter hatte dort gearbeitet, den Vater kannte sie nie. Alia war am gleichen Tag wie die richtige Prinzentochter zur Welt gekommen, allerdings unten, bei den Bediensteten, und das ergibt auch die Perspektive für diesen Film, in dem es um gesellschaftliche Hierarchien genauso geht wie um Hierarchien zwischen Männern und Frauen. «Les silences du palais» wurde in Cannes als bester Erstling mit der Caméra d'Or ausgezeichnet und lief in der Schweiz mit über 45'000 Eintritten äusserst erfolgreich. Es folgten zwei weitere Regiearbeiten von Moufida Tlatli: «La saison des hommes» (Zeit der Männer, Zeit der Frauen, 2000) und «Nadia et Sarra». Tlatli widmete sich auch in den folgenden Filmen der Frau in der arabischen Männerwelt und geellschaftlichen Fragen, lange bevor sie im so genannten Arabischen Frühling die ganze Gesellschaft erfassten. In der Folge der tunesischen Revolution wurde die Filmemacherin 2011 zur Kulturministerin der Übergangsregierung ernannt und konnte direkten politischen Einfluss nehmen. Obwohl sie nur drei Spielfilme machen konnte, wird Moufida Tlatli dennoch die Regisseurin bleiben, die den vielen Frauen, die heute selbst Regie führen, die Türen geöffnet hat. Sie war, und wird in der Erinnerung vieler von uns bleiben, die Grande Dame des arabischen und des Weltkinos.
Weitere Informationen zu La saison des hommes - Maussim al-riyal
Weitere Informationen zu Les baliseurs du désert
Weitere Informationen zu Shamt al kushur - Les silences du palais