Hilfsbereiter Mittler
Marc Wehrlin ist gestorben.
Er war einer der ersten, die sich für die Stiftung trigon-film engagiert hatten: Marc Wehrlin, Berner Fürsprech von Haus aus, der sich immer als Mittler verstand und das Vermitteln dank seiner ruhigen, bedachten und zurückhaltenden Art auch immer wunderbar verstand. Nun ist er im Alter von 73 Jahren in seiner Berner Heimat gestorben.
1948 in Bern geboren, führte Marc Wehrlin als Anwalt zunächst eine «bernische Landpraxis», wie er sie selber bezeichnete, eine Anwaltspraxis «für Menschen wie Du und ich». Dieses «Menschen wie du und ich» prägte sein Wesen. Früh hat er sich fürs Filmrecht interessiert und spezialisiert. Diskret, die eigene Person nicht in den Vordergrund stellend, kompetent und liebevoll und doch scharfsinnig begleitend, ein hervorragender Analytiker, der stets darauf bedacht war, die verschiedenen Aspekte einer Sachlage ruhig zu erkennen und klar zu benennen. Keiner verstand es wie er, den wilden Haufen, der die Schweizer Filmbranche bildet, so zu begleiten, dass am Ende in der Regel alle hinter einem Resultat standen oder hätten stehen können, weil er nicht einfach auf verwedelnden Ausgleich bedacht war, vielmehr auf das Gemeinsame setzte, das sich überall finden lässt.
Die Liste seiner Funktionen ist lang und länger noch jene der Organismen, die er geschaffen hat. Ich selber hatte Marc Wehrlin in meiner journalistischen Tätigkeit als Präsident des Filmverleiherverbandes kennen- und schätzen gelernt, in einem Amt, das er ab 1976 wahr nahm und in dem er die oft genug divergierenden Interessen der US-Niederlassungen und unabhängigen Schweizer Verleihern unter ein Dach bringen musste. 1981 gründete er die Schweizerische Gesellschaft für die Urheberrechte an audiovisuellen Werken, Suissimage, und präsidierte sie. Es war ihm ein Anliegen, dass die künstlerischen Rechte und Werte im audiovisuellen Bereich geschützt waren. Er engagierte sich für die 1988 ins Leben gerufene Stiftung trigon-film und ihr Anliegen, den Blickwinkel im Kino nach Süd und Ost zu erweitern - bis zu seiner Wahl zum Leiter der Sektion Film im Bundesamt für Kultur 1995 war er Stiftungsrat und nach Peter Tschopp dessen Präsident.
Die damalige Bundesrätin Ruth Dreifuss und der BAK-Direktor David Streiff hatten ein gutes Gespür dafür, was die Filmzene Schweiz in jenen eher chaotischen Jahren brauchte. Und sie konnten einen für das Amt gewinnen, der nicht unter den 19 Bewerbungen figurierte. Als der Tages-Anzeiger 1994 seinen Namen ins Spiel gebracht hatte, hiess es von allen Seiten: Gute Idee, nur macht das der Marc Wehrlin nie. Zu engagiert sei er als Berner Grossrat, zu erfolgreich führe er seine Advokatur, zuviele spannende Eisen habe der 47jährige im Feuer. Die Sektion Film: Die sei ein paar Nummern zu klein für ihn.» Und nach dem Entscheid las man: «Allgemeines Aufatmen in der Filmszene Schweiz: Mit dem Berner Fürsprech Marc Wehrlin wurde der Wunschkandidat auf den Chefposten der verwaisten Filmsektion berufen.»
Als geistiger Vater und treibende Kraft hinter dem 2002 in Kraft gesetzten Filmgesetz stand der Berner genauso wie als Vordenker von SAFE, einer Pirateriebekämpfungsinstitution - ein Thema, über das Marc Wehrlin schon sprach, als die meisten noch dachten: Wozu braucht es das? Mehr als einmal ging es in den Filmkullissen heiss zu und her, wenn etwa zwei Produktionsverbände befriedet werden mussten: Marc Wehrlin konnte das richten. Er hat sich nicht umsonst als Mediator weitergebildet und als solcher auch nach seiner Pensionierung engagiert. Zu arbeiten aufgehört hat er nie, bereitwillig geholfen immer. Von 2010 an präsidierte er die Stiftung Cinémathèque in Lausanne, leitete das Filmarchiv interimistisch und begleitete seine Erweiterung. Fraglich, ob es die Stiftung Focal, die sich der Weiterbildung im audiovisuellen Bereich verschrieben hat, ohne Marc Wehrlin geben würde, genauso wie Cinésuisse, den Dachverband der Filmbranche, der ja wieder schön illustriert, wie der Berner Anwalt dafür arbeitete, dass man sich an einem Tisch zusammensetzt und gemeinsame Probleme und Fragen diskutiert, um am Ende Lösungen zu finden.
Marc Wehrlin hat sich immer für trigon-film engagiert und uns mit seinem Wissen und seinem Überblick geholfen, wenn wir ihn um Rat gefragt haben. Auf seiner Homepage steht, was ihm elementar wichtig war und was er gelebt hat: «Grundlage meiner Arbeit ist der Respekt für alle Beteiligten. Meine Kundinnen und Kunden bringen wesentliche Ressourcen mit. Ich stelle ihnen meine Erfahrung und mein Wissen zur Verfügung – so vollständig wie möglich, nicht mehr und nicht weniger. Meine Tätigkeit soll dazu führen, dass ein Bild umfassender wird und von mehreren Seiten betrachtet werden kann. Daraus kann das gewünschte Ergebnis entstehen oder eine neue Richtung gefunden werden. Ich eigne mich für Aufgaben, bei denen nach langfristig tragfähigen Resultaten gesucht wird. Von kurzfristigen Gewinnen verstehe ich nichts.» Das waren nie leere Worte, das beschreibt den Kern seines Wirkens. Marc, du wirst uns fehlen.
Walter Ruggle
PS: Zu den filmischen Erfolgen in Marc Wehrlins Zeit bei trigon-film gehört der meditative südkoreanische Spielfilm Warum Bodhi Dharma in den Orient aufbrach, den er geliebt hat. Regisseur Bae Yong-kyun sagte damals: «Wenn man auf das hört, was aus der tiefsten Seele kommt, kann das Ergebnis dieser Arbeit alle berühren und eine tiefe, universelle Kommunikation herstellen. Tief unten in unserer Seele liegt der Schlüssel verborgen, der uns hilft, die essenziellen Probleme unseres Lebens zu lösen. Deshalb müssen wir versuchen, die Lösung für die politischen und gesellschaftlichen Probleme zuerst in uns selbst zu finden.»