Daratt - Dry Season

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DARATT - mit den Augen Afrikas
Das afrikanische Kino hat es schwer, die Produktionsmöglichkeiten sind beschränkt. Dennoch entstehen grossartige Filme wie DARATT von Mahamat-Saleh Haroun aus dem Tschad, der letztes Jahr am Internationalen Filmfestival von Venedig im Wettbewerb lief, den Grossen Spezialpreis der Jury holte und jetzt dank trigon-film in die Schweizer Kinos gelangt. Es geht in diesem Film um ein brennend aktuelles Thema, das nicht nur den Tschad beschäftigt: Wie kann der Teufelskreis aus Gewalt und Rache durchbrochen werden? Wie findet ein in sich zerstrittenes Land zurück zu seinem Frieden?
Mahamat-Saleh Haroun erzählt eine durchwegs ruhige Geschichte, friedfertig und liebevoll, fast zärtlich mitunter, und dies, obwohl in ihr das Moment zum Schuss schlummert. Er gestaltet seinen Film mit einem ausgeprägten visuellen Bewusstsein und der Freude am ruhigen Blick. Worum geht es? Die Regierung im Tschad hat eine allgemeine Amnestie erlassen, um den Teufelskreis der Gewalt zu stoppen. Der 16-jährige Atim erhält von seinem Grossvater einen Revolver, damit er den Mann töten kann, der seinen Vater getötet hat. Atim verlässt sein Dorf und geht in die Hauptstadt N'Djamena auf der Suche nach einem Mann, den er nicht kennt.
Der junge Mann macht sich also auf den Weg, am Mörder seines Vaters Rache zu üben, der Monate vor der Geburt Atims getötet wurde. Er findet eine respektierte und Respekt gebietende Persönlichkeit, die eine kleine Bäckerei führt, und er beginnt für den Mann zu arbeiten. Atim lernt Brot zu backen, und langsam entwickelt sich eine eigenartige Beziehung zwischen den beiden. Der Ältere würde den Jüngeren sogar gern als Sohn adoptieren – er kennt den Anlass seines Besuches nicht. Gleichzeitig aber umkreisen die beiden einander, der eine unsicher darüber, ob er Rache nehmen soll, der andere dabei, sich selbst fast aufzugeben angesichts der Konkurrenz durch eine Grossbäckerei.
Ihre Beziehung führt vor Augen: Wenn zwei Menschen sich näher kommen, verstehen sie einander besser und können übergeordnete Verhaltensmuster eher überwinden. Mahamat-Saleh Haroun ist bekannt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Filmemacher Afrikas. Auf den ersten Spielfilm «Bye Bye Africa» folgte der mehrfach ausgezeichnete «Abouna», ein einfühlsamer und berührender Bericht zweier Jungen auf der Suche nach dem vermissten Vater. Wie diese früheren Arbeiten ist nun «Daratt» vermeintlich einfaches Geschichtenerzählen. In der Einfachheit der Erzählung aber ruhen ihr Reichtum und ihre Relevanz für unsere Zeit. Der Film greift dieselbe Frage auf, die schon Mozart, der Haroun inspiriert hat, in «La clemenza di Tito» stellte: Sind Vergebung und Versöhnung in einem durch Krieg erschütterten Jahrhundert überhaupt möglich? Überall auf der Welt, vor allem aber in Afrika, ist diese Frage von vorrangiger Bedeutung.
Walter Ruggle

Festivals & Auszeichnungen

Grand Special Prize of the Jury - Mostra Internazionale d'Arte Cinematografica di Venezia
UNESCO AWARD
New Crowened Hope, Wien

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Credits

Originaltitel
Daratt - Dry Season
Titel
Daratt - Dry Season
Regie
Mahamat-Saleh Haroun
Land
Tschad
Jahr
2006
Drehbuch
Mahamat-Saleh Haroun
Montage
Marie-Hélène Dozo
Musik
Wasis Diop
Kamera
Abraham Haile Biru
Ton
Dana Farzanehpour
Produktion
Abderrahmane Sissako, Mahamat-Saleh Haroun, New Crowned Hope Festival Vienna
Formate
35mm, DVD
Länge
96 Min.
Sprache
Arabisch, Französisch/d/f
Schauspieler:innen
Ali Barkai (Atim), Youssouf Djaoro (Nassara), Abderamane Abakar (Soldat), Aziza Hisseine (Aicha), Djibril Ibrahim (Moussa), Fatimé Hadje (Tante), Khayar Oumar Defallah (Gumar Abatcha)

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Pressestimmen

Der Regisseur aus dem Tschad ist ein wunderbarer Geschichtenerzähler und sein Film ein Meisterwerk der Einfachheit.

Nahaufnahme, Selina Schmidiger.

«Ein Film wie "Daratt" prägt sich mir ein, denn er hat in seiner Kargheit, in seiner Klarheit eine Wucht... Die Produktion aus dem Tschad handelt von Atim, einem jungen Mann, dessen Vater im Bürgerkrieg umgebracht wurde. Nachdem eine Generalamnestie erlassen worden ist, macht sich Atim auf, den Tod des Vaters zu rächen. Doch die Beziehung, die Atim zu Nassara, dem Mörder, entwickelt, ist zu komplex, als dass eine Pistole Klarheit schaffen könnte. Mit reduzierten, der Ellipse zuneigenden Sequenzen evoziert Haroun einen Kreislauf aus Gewalt und ungesühnter Schuld, einen Kreislauf, der keinen Ausweg zu kennen scheint. Am Ende jedoch gelangt der Film zu einer der überraschendsten Auflösungen, die ich seit langem gesehen habe: In ein und derselben Geste stecken sowohl Rache als auch Versöhnung.»

TagesZeitung, Berlin, Cristine Nord

Mahamat-Saleh Haroun ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Filmemacher Afrikas. Mit einfachsten Mitteln erzählt er eine eindrückliche Parabel über Rache und Vergebung.

Catherine Berger, SF DRS

Ganz der afrikanischen Erzähltradition verpflichtet, versucht Haroun, nicht einfach einen Einzelfall zu erzählen, sondern das Exemplarische an seiner Geschichte zu betonen.

NZZ

Film des Monats: Beeindruckend ist die Präsenz der beiden Hauptdarsteller. Unvermittelt wird hier deutlich, dass zwei Menschen mit realem Kriegshintergrund diese Rollen einnehmen und diese überzeugend verkörpern.

Medientipp

Ein Plädoyer für Vergebung, das ohne Moralisieren auskommt.

Züritipp

Thrillerartig spannend erlebt der Zuschauer den immer wieder knapp verhinderten Showdown. DARATT beindruckt vor allem auch trotz minimalistischer Inszenierung durch seine Klarheit der Aussage: die Möglichkeit des Vergebens in einem Kontext, wie wir ihn heute weltweit finden.

Art-Ch

Mahamat-Saleh Haroun ist davon überzeugt, dass das Kino den Menschen in Afrika hilft, eine neue, gemeinsame Identität aufzubauen - dies auf einem Kontinent, wo in vielen Teilen seit langer Zeit immer wieder Bürgerkriege aufflammen. Seiner Meinung nach ist es wichtig, dass die Filmemacher den Mut haben, einen moralischen Standpunkt zu setzen und den Glauben an die Macht der Fiktion, an eine neue gemeinsame Welt, nicht aufgeben. Mahamat-Saleh Haroun hat seine persönlichen Vorstellungen von zukunftigen afrikanischen Filmen in "Daratt" vollstens umgesetzt.

Nahaufnahme

«In meinem vorhergehenden Film, Abouna, beschäftigte ich mich bereits mit der Abwesenheit des Vaters, der spurlos verschwunden ist. Hier geht es einmal mehr um die Geschichte eines Vaters, der ebenfalls verschwunden ist, doch diesmal, weil er von einem anderen getötet wurde; und der Sohn sieht sich verpflichtet, die der Familie zugefügte Schmach zu rächen. Es handelt sich also um eine Geschichte, die von Rache handelt. Mit diesem Film wollte ich die wildesten, primitiven, erdhaften Kräfte erforschen, die den Menschen beherrschen. Die Kräfte der Finsternis, die sich in seinem Innersten regen und die Maschinen zur Erzeugung des Horrors antreiben. Hier wie anderswo. Wie lässt sich überhaupt noch zusammenleben nach so viel Gewalt und Hass? Ist Verzeihen noch möglich? Wie will man mit der Ungestraftheit umgehen? Soll man resignieren oder Selbstjustiz üben?» Mahamat-Saleh Haroun

«Dans mon précédent film Abouna, j'ai déjà traité de l'absence du père, parti sans laisser de trace. Ici, il s'agit encore de l'histoire d'un père, disparu aussi, mais cette fois tué par un homme ; et le fils se voit obligé de réparer l'offense faite à la famille. C'est une histoire de vengeance, donc. Je voudrais, à travers ce film, explorer les forces les plus sauvages, primitives, telluriques qui peuvent habiter l'homme. Les forces nocturnes qui se nichent au tréfonds de l'homme et font tourner les machines à fabriquer l'horreur. Ici et ailleurs. Comment en effet continuer à vivre ensemble après tant de violence et de haine? Y a-t-il encore une place pour le pardon? Quelle attitude adopter face à l'impunité? Se résigner ou se faire justice soi-même?» Mahamat-Saleh Haroun

La guerre civile au Tchad

Le Tchad connaît depuis octobre 1965 une situation de guerre civile. La déclaration d'indépendance, signée le 11 août 1960, a ravivé l'opposition entre le Sud, animiste et chrétien, et le Nord, musulman, influencé par le nassérisme. D'abord sous l'emprise d'hommes du Sud, François Tombalbaye puis Félix Malloum, le Tchad fut dirigé à partir de 1979 par des hommes du Nord : Goukouni Weddeye, Hissène Habré et Idriss Déby qui ont conquis le pouvoir en s'appuyant sur leur ethnie d'origine. Malgré la signature de plusieurs accords entre le président Déby et certaines factions armées, l'instabilité perdure, notamment dans le Sud, dans la région du lac Tchad, et plus récemment dans l'Est. Le gouvernement en place à N'Djamena est, aujourd'hui, loin de contrôler l'ensemble du territoire national. Le pays est aujourd'hui complètement exsangue en raison des effets conjugués de la guerre, de la

sécheresse et de la famine.