Grbavica
Mutter und Tochter im Sarajevo von heute
Esma lebt mit ihrer 12-jährigen Tochter Sara allein in Sarajevo. Sara möchte auf einen Schulausflug gehen. Esma arbeitet als Kellnerin in einem Nachtclub, um das Geld aufzubringen. Sie will, was jede Mutter möchte: Nicht nur das Beste für ihre Tochter, sie will auch, dass ihre Tochter all das haben kann, was andere haben können. Die quirlige Sara freundet sich mit Samir an, der wie sie selber keinen Vater hat. Beide Väter sollen als Kriegshelden gestorben sein, heisst es. Aber Samir ist verwundert, dass Sara nicht weiss, wie genau ihr Vater starb. Wenn Mutter und Tochter das heikle Thema ansprechen, gibt Esma ausweichende Antworten. Sara wird das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmt an dieser Geschichte. Und sie stellt, wie Kinder das an sich haben, weiter Fragen.
«Grbavica» ist ein zutiefst bewegender Film über die Gegenwart des Gewesenen. Keine Rückblenden, nur das Hier und Jetzt. Regisseurin Jasmila Zbanic lässt uns zuschauen und über die ausgesprochen exakte und lebensnahe Beschreibung langsam erkennen. Die Geschichte ist zunächst eine ganz alltägliche, wie wir sie rund um die Welt antreffen können: Eine Mutter lebt mit ihrer Tochter allein erziehend in einer Stadt. Die beiden verstehen sich gut, machen manchmal freundschaftlich gemeinsame Sache, aber immer wieder scheinen auch die Konflikte auf, die zwischen einer Mutter und einer Tochter so entstehen können. Bei ihnen kommt dazu: Ein verspielter Moment kann bei den beiden ohne Vorwarnung in einen Schmerz kippen, der ahnen lässt, dass es da Wunden gibt, die höchstens an der Oberfläche verheilt sind.
Mirjana Karanovic, die grossartige Kusturica-Schauspielerin, und Luna Mijovic, die junge Entdeckung dieses Films, verkörpern die beiden Figuren still und grossartig. Ihre Präsenz ist eines der kleinen Ereignisse, die «Grbavica» so gross machen. Ein anderes: Jasmila Zbanic führt uns an einen Punkt des Begreifens dessen, was Kriege hinterlassen, warum sie nie eine Lösung sind. Das Unspektakuläre ist das Spektakuläre in ihrem Film, den man nicht genügend warm empfehlen kann. Er wurde an der Berlinale 2006 hochverdient mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Gründe dafür gab es genügend.
«Wenn man an die Zukunft des Kinos glauben will, muss man an Filme wie Grbavica glauben», hatte die FAZ geschrieben. Ein kleiner Film, vergleichsweise, aber eine grossartige Geschichte, die uns wieder einmal vor Augen führt, dass die wirklich berührenden Geschichten verwurzelt sind und ihre Kraft aus dem Humus vor Ort beziehen. Dies in einer Zeit, und darauf spielte die Anmerkung in der FAZ natürlich auch an, in der viel Heimatloses ins Kino gelangt, und gerade Heimatloses aus Süd und Ost, leer finanziert und leer abgeschliffen aus Nord und West.
Walter Ruggle
Festivals & Auszeichnungen
Berlinale 2006 Goldener Bär, bester Film Friedensfilmpreis Preis der ökumenischen Jury
Nomination Oscars 2007
Credits
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Pressestimmen
«Wenn man an die Zukunft des Kinos glauben will, muss man an Filme wie GRBAVICA glauben.» Andreas Kilb, FAZ «Dies ist eine hoffnungsvolle Geschichte.»
Birgit Schmid, Das Magazin
«Manchmal zeigt Kino, was es kann . . . die schönste, sparsamste und ohne Berührung berührendste Versöhnungsszene, die man sich vorstellen kann.»
Christoph Schneider, Tages-Anzeiger
«GRBAVICA ist eigentlich ein kleiner Film. Was ihn gross macht, ist die Art, unpathetisch, politisch engagiert und gleichzeitig einfach nur gutes Kino zu sein.»
Brigitte Häring, Radio DRS 2
«Eine enorm berührende Liebesgeschichte zwischen Mutter und Tochter.»
ProZ Basel
«Ein Film, in dem die Liebe am Ende siegt.»
Richard Walder, Südostschweiz
«Man kann in Zeiten dreist angezettelter Kriege nicht oft genug davon erzählen.»
Martin Walder, NZZ am Sonntag
«Unspektakulär, aber präzis erzählt Jasmila Zbanic.»
Beat Allenbach, Der Bund
«Eine menschliche Geschichte voller Emotionen.»
Oslobodenje, Sarajevo
«Stark!»
20 Minuten
«GRBAVICA ist auch eine Liebesgeschichte zwischen Mutter und Tochter; von der Qual und vom Glück, einander endlich die Wahrheit zu sagen. Mirjana Karanovic, aus Kusturica-Filmen bekannt, spielt die Rolle der Esma eindrucksvoll erschöpft, doch voller Willen zum Überleben; Luna Mijovic ist als Sara pubertätstrotzig hart und früh-erwachsen verletzlich.»
Jens Balzer, Berliner Zeitung
«Une fiction courageuse qui traite son sujet sans tomber dans le vérisme.»
Arte
«Une histoire humaine et pleine d'émotions.»
Oslobodenje, Sarajevo
«Si l'on a envie de penser à l'avenir du cinéma, c'est à des films comme Grbavica qu'il faut penser.»
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zwei Fragen an Jasmila Zbanic Grbavica ist ein Wort, das Ausländerinnen und Ausländern vermutlich die Zunge brechen wird. Was ist Grbavica? Grbavica ist ein Stadtteil, nicht weit von dem Haus, in dem ich lebe. Während des Krieges wurde das Gebiet von der serbischmontenegrinischen Armee besetzt und in ein Kriegslager umgewandelt, in dem die Zivilbevölkerung gefoltert wurde. Wenn man heute durch Grbavica geht, sieht man typische Bauten aus der Zeit des sozialistischen Regimes, Einheimische, Läden, Kinder, Hunde. Und gleichzeitig spürt man, dass etwas Unausgesprochenes, Unaussprechliches, Unsichtbares da ist, dieses befremdliche Gefühl, das man hat, wenn man an einem Ort ist, der von grossem, menschlichem Leid geprägt ist. Grbavica ist ein Mikrokosmos, zu dem Esma und andere Heldinnen gehören. Aus etymologischer Sicht bedeutet dasWort «Grbavica» eine Frau mit einem Buckel. Auch, wenn es ein bisschen schwer auszusprechen ist ich fand, dass diese unschönen Buchstaben die passende Lautmalerei für die Welt von Esma sind. Wie kamen Sie auf die Geschichte? Als der Krieg begann, habe ich mich gefreut, weil meine Mathe-Klausur abgesagt wurde. Als Teenager war ich hauptsächlich an Sex interessiert oder mehr noch am Reden über Sex, am Träumen von Sex als grösste Erfüllung der Liebe. Aber 1992 war plötzlich alles anders, und ich begriff auf einmal, dassich mich in einem Krieg befand, in dem Sex als Kriegsstrategie benutzt wurde, um Frauen zu erniedrigen und damit die Vernichtung einer ethnischen Gruppe herbeizuführen! Während des Krieges wurden in Bosnien 20 000 Frauen systematisch vergewaltigt. Ich wohnte damals 100 Meter von der Front entfernt und hatte schreckliche Angst vor dieser Art des Kampfes. Seitdem wurden Vergewaltigung und die Konsequenzen daraus für mich zu einer Obsession: Ich verfolgte und las alles, was mit diesem Thema zusammenhing. Trotzdem war mir nicht ganz klar, warum ich das tat oder was ich damit anfangen wollte. Als ich mein Kind auf die Welt brachte, ein Kind der Liebe, hat die Mutterschaft in mir ein Gefühlschaos verursacht, das mich sehr schockiert hat. Ich habe mich gefragt, was für eine emotionale Bedeutung das für eine Frau haben muss, die ihr Kind im Hass empfangen hat. Ab dem Moment wusste ich, was ich von Grbavica wollte und schrieb es auf während der Stillzeit.