Piravi
Der indische Spielfilm "Piravi" erzählt von einem Vater, der mit Frau und Tochter auf die Rückkehr seines Sohnes wartet. Ein Film, der in sich ruht, der uns wundersam den Fluss der Zeit vor Augen führt. "Du bist ungeduldig, Vater", meint die Schwester von Raghu, der seine Heimkehr angekündigt hatte und auf sich warten lässt. Und sie fährt lakonisch fort: "Ein Tag früher oder später". - "Piravi" (Geburt) vom Inder Karun Shaji ist einer jener Filme, in denen sich die Zeit in einer anderen Dimension zu entfalten scheint als derjenigen, die unseren Alltag prägt. Hetze, Hektik, Nervosität, Ungeduld und daraus resultierende Gereiztheit: Das sind Fremdwörter in jenem Flecken Welt, an dem Raghus Familie wohnt. Wenn der Vater sich zur Busstation aufmacht, um seinen Sohn zu begrüssen, so ist das allein schon eine kleine Reise, die er unternimmt. In ihrem Zentrum steht die kurze Bootsfahrt über den Fluss, ein sinnbildliches Übersetzen von einem Ufer zum anderen, eine Bewegung des Lebens.
Raghu, der Sohn, kommt nicht. Er trifft am ersten Abend nicht ein, und auch nicht an den folgenden Tagen. Allmählich tauchen Gerüchte auf, er sei in der Stadt verhaftet worden, weil er sich an seiner Fakultät politisch unvorsichtig geäussert habe. Der Vater verdrängt den Gedanken daran, dass seinem Sohn etwas zugestossen sein könnte, bis er dann doch aufbricht und eine kleine Weltreise unternimmt: die Fahrt in die grosse Stadt. Das alles, der ganze Handlungsfaden, spielt in Shajis Film eine zweitrangige Rolle. Im Zentrum steht eine meditative Form, in der selbst der Monsunregen seine Schönheit zurückgewinnt. Man spürt es in jeder Einstellung, dass der junge indische Regisseur als Kameramann ausgebildet wurde und als Kameramann gearbeitet hat, denn jedes einzelne Bild ruht gewissermassen in sich selbst, trägt jene Stimmung mit, die den ganzen Film, diese liebevolle Suche nach der ungebrochenen Familienbande prägt. Aus den monochron reich wirkenden Bildern, die alles Grelle meiden, wachsen die verblüffendsten, bisweilen kontrapunktisch gesetzten Töne; ihnen schenkt Shaji eine ebensowichtige Bedeutung und sehr viel Aufmerksamkeit. Sein Film singt uns ein mehrstimmiges Lied von innerer Ruhe, stimmt eine Wassermusik an, auf der wir gleichsam dahingleiten. Und gleichzeitig thematisiert er unaufdringlich ein inneres Gefälle in einem Staat wie Indien, der von kolonialen Spuren unauslöschlich geprägt ist, in dem der Gegensatz zwischen Land und Stadt immens ist. Das politische ist immanent. Shaji führt uns dies in wenigen, dafür präzis komponierten Einstellungen vor Aug und Ohr, in einer Filmsprache, die wie ihre Handlung auf falsche Hektik verzichtet und mit sanften Impulsen sich auf dem Fluss des Lebens bewegt, eines Lebens, das im Auszug aus dem Upanishaden, einem heiligen indischen Text, im Prolog als stetig wiederkehrendes existiert, in dem der Tod Anfang bedeutet, das Wasser Leben.
Walter Ruggle
Festivals & Auszeichnungen
Cannes Film Festival
Golden Camera - Special Mention
Bergamo Film Meeting
Bronze Rosa Camuna
Chicago International Film Festival
Silver Hugo
Fajr Film Festival
Crystal Simorgh
Filmfare Awards South
Best director, best actor
Fribourg International Film Festival
Audience Award, Distribution Help Award
Hawaii International Film Festival
East-West Center Award
International Film Festival Innsbruck
Best Film, Audience Award
Locarno International Film Festival
Silver Leopard, Prize of the Ecumenical Jury - Special Mention
National Film Awards, India
Golden Lotus Award: Best Film
Silver Lotus Award: Best Actor
Credits
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Pressestimmen
«Ein film, der in seiner Behutsamkeit und Geduld fesselt und betört.»
Basler Zeitung
Eine grossartige und feinfühlige Hymne an die Vaterliebe - die Bilder sind so dicht wie ein Film von Bresson.»
La Suisse
«In einem fast unheimlich ruhigen Rhythmus gehalten, eröffnet Piravi keinen leichten Zugang zu der verschwiegenen, vom Ritual bestimmten Welt, in der er angesiedelt ist. Doch die kontemplative Geduld, die Shaji für seine Figuren und ihre atmosphärisch dicht eingefangen Umgebung aufbringt, macht den Schmerz, macht die Trauer unausweichlich nachvollziehbar. Piravi ist ein elegischer Film.»
Neue Zürcher Zeitung
Ein Warten aus dem Bewusstsein der Verwandtschaft, der Zusammengehörigkeit heraus, ein - trotz indischen Vorzeichen - geradezu biblisches Warten, in dem sich das ganze Leben und seine Erfüllung in der Verantwortung spiegelt.»
Der Bund