Hora de los hornos, La

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Die 60er Jahre brachten nicht nur ästhetisch neue Wellen in die Filmgeschichte: Sie brachten auch politische Bewegungen auf die Leinwand. Zum Beispiel in Lateinamerika, wo in Brasilien, Chile, Kuba, Bolivien oder Argentinien Filmemacher sich laut- und bildstark äusserten.
Film ist immer politisch - als Erkenntnis ist diese Feststellung jünger als die Filmgeschichte, wenngleich man angesichts des allgemeinen handlungs- und technikorientierten Geschreibes und Geplauders derzeit wieder das Gefühl haben könnte, es hätte die Auseinandersetzung mit der politischen Ebene jeglichen Filmens nie gegeben. Neben dem gewissermassen implizit, in seiner Wirkung politischen Kino gab es früh schon das explizite, Position beziehende, ja agitativ genutzte Filmschaffen, am ausgeprägtesten sicherlich in der frühen Sowjetunion. Dort hatte Lenin den Film zur Kunst der Künste erklärt. Als Teil von Befreiungsbewegungen verstanden sich Filmemacher in verschiedensten Winkeln der Welt, und ob sie Spielfilme machten oder die sie umgebende Wirklichkeit in Bildern festhielten: Das Kino ermöglichte es ihnen, den Aufschrei ihrer Kulturen rund um die Welt zu transportieren. "Das Kino als Fenster zur Welt", lautete eine Definition von André Bazin, "Voraussetzung für das Verständnis sind das Interesse an und die Achtung gegenüber der anderen Kultur", meinte der Bolivianer Jorge Sanjines. Und anschaulicher, direkter als andere künstlerische Ausdrucksformen konnte das Kino die eigenen Bilder, Geschichten und Töne um die Welt bringen.
Es ist bald fünfzig Jahre her, seit der Argentinier Fernando Solanas zusammen mit dem Spanier Octavio Getano unter dem Titel "Kino der Dekolonisation" eine Art Manifest zur Unabhängigkeit der verschiedenen Kinematographien verfasst hat. Darin heisst es unter anderem: "Eine Kinematographie wie eine Kultur wird nicht durch ihre Geographie national, sondern nur dadurch, dass sie den besonderen Notwendigkeiten der Befreiung und Entwicklung eines jeden Volkes entspricht. Das Kino, das heute in unseren Ländern dominiert und von Infrastrukturen und Superstrukturen bestimmt wird - den Ursachen jeder Unterentwicklung - kann nur ein abhängiges Kino und damit konsequenterweise ein unmündiges und unterentwickeltes Kino sein."

Das legendäre Manifest hat im Zeitalter der globalen Vernetzung nichts an Aussagekraft eingebüsst. Im Gegenteil: Dieselben Konzerne, die heute den Grossteil der Kinoprogramme auf dem Globus diktieren, haben sich auch in die Computernetze eingenistet und werden dort mit derselben Effizienz dafür besorgt sein, dass die Länder des Südens darin bestenfalls als Farbtupfer in Erscheinung treten. Fernando Solanas war neben Leuten wie Glauber Rocha, Miguel Littin, Santiago Alvarez, Fernando Birri oder Jorge Sanjines einer jener Lateinamerikaner, die sich nicht nur in kulturpolitischen, antiimperialistischen Manifesten äusserten; seine Filme, unter ihnen der monumentale Dreiteiler "La hora de los hornos" (Die Stunde der Feuer, 1968), zeigten, was Emanzipation im Kino bedeutet. Solanas ging mit seinem politischen Kino auf dem Kontinent wohl insofern am weitesten, als er sich in erster Linie als "politischer Kämpfer" verstand.
Das viereinhalbstündige Pamphlet gegen die neokolonialistische Repression ist geprägt von einem unmissverständlichen Tonfall, einer umfassenden, essayistisch dokumentierenden Methode und der agitativen Montage. Meditativ wird mit der langen Einstellung auf das Bild des zur Zeit der Dreharbeiten ermordeten Che Guevaras eingestimmt. Doch nicht nur der Film, auch die Arbeitsbedingungen sind Beispiel extremer Voraussetzungen. Gedreht wurde vier Jahre im Untergrund, fertiggestellt nach der Flucht ins Exilland Italien. Die politische Aktivität ging noch weiter, wurde der Film schliesslich auch nach Argentinien zurückgeschmuggelt und dort im Untergrund mit ungeheurem Erfolg gezeigt: Über 100 000 Zuschauerinnen und Zuschauer, ungezählte Verhaftungen. "In dieser Zeit", heisst es in "La hora de los hornos", "ist in Lateinamerika kein Platz für Passivität oder Unschuld. Der Kompromiss des Intellektuellen wird an dem gemessen, was er riskiert."
Walter Ruggle
PS: Ende 1968 hatte Fernando Solanas versucht, den Film in einem Filmclub, dem Cine Arte an der Diagonal Norte, zu zeigen. Die Aufführung wurde verboten, und der Filmemacher musste bis 1973 warten, um seinen Film in Argentinien in einem Kino öffentlich vorführen zu können. Er wich von Anfang an nach Colonia, das auf der anderen Seite des Rio de la Plata in Uruguay liegt, und die Leute nahmen das Schiff und pilgerten dahin oder nahmen an klandestinen Vorführungen teil. Man schätzt, dass mehr als 300.000 Menschen den verbotenen «La Hora de los hornos» gesehen haben.

Festivals & Auszeichnungen

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Credits

Originaltitel
Hora de los hornos, La
Titel
Hora de los hornos, La
Regie
Fernando Solanas
Land
Argentinien
Jahr
1968
Drehbuch
Fernando Solanas, Octavio Getino
Montage
Antonio Ripoll, Carlos Masías, Fernando E. Solanas
Musik
Roberto Lar, Fernando Solanas
Kamera
Juan Carlos De Sanzo
Produktion
Fernando Solanas
Formate
DVD, Blu-ray, DCP
Länge
88 Min.
Sprache
Spanisch/d + f
Schauspieler:innen
Dokumentare Form, Film documentaire, Documentary

Pro Material

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Pressestimmen

«Die Stunde der Feuer von Fernando Solanas war die erste revolutionäre, filmische Antwort auf die sich ausbreitenden Diktaturen in Lateinamerika. Durch seine originäre Form als Essay, Dokument und Agitation veränderte er das politische Kino des Kontinents. Er wurde in 70 Ländern gezeigt und erhielt zahlreiche Preise. - Ein revolutionärer Film ist zum Klassiker geworden. Und zu einem Dokument bleibender Mahnung, des fortdauernden Aufbegehrens gegen all jene Probleme, deren Verursacher heute wie damals die gleichen sind.» Peter B. Schumann

«Der Agitationsfilm ist ein rasant montiertes Plädoyer für die gemeinsame kulturelle Identität Lateinamerikas im Kampf gegen den „Neokolonialismus“ Europas und der USA. Eine filmische Analyse Argentinien folgt ein Aufruf zur Revolution, später gibt es dazu auch praktische Handlungsanweisungen, etwa zum Bau von Molotow-Cocktails. In Argentinien durfte der Film zunächst nicht gezeigt werden, und wurde erstmals im September 1968 auf dem Festival des Neuen Films in italienischen Pesaro aufgeführt.» Freie Universität Berlin