Bab'Aziz - Le prince qui contemplait son âme

von Nacer Khemir, Tunesien, 2005
Bild von

Eins werden mit sich selber
Zwei einsame Gestalten in einem Meer aus Sand: Ishtar, ein lebensfrohes Mädchen, und Grossvater Bab'Aziz, ein blinder Derwisch. Ihr Ziel ist das grosse Derwisch-Treffen, das alle 30 Jahre stattfindet, dessen Ort sich aber nur jenen offenbart, die mit dem Herzen der unermesslichen Stille der Wüste zu lauschen vermögen und sich von ihr leiten lassen. Auf dem Weg durch die endlose Weite begegnen sie anderen: Osman, der sich nach den schönen Mädchen verzehrt, die er am Grunde eines Brunnens gefunden hat; Zaid, der mit seinem Gesang eine hinreissende Frau verführt und wieder verloren hat; dem Prinzen, der sein Reich aufgibt, um Derwisch zu werden. Ein uraltes Märchen, das Bab'Aziz Ishtar auf ihrer Wanderung erzählt. Der alte Mann gibt seiner Enkelin noch einen letzten Kuss, bevor er sie mit Zaid in den Strudel aus wilden Farben und betörenden Klängen schickt, durch den sich das Treffen in den Ruinen der Stadt Bam von ferne ankündigt. Für Bab'Aziz ist die Zeit gekommen, mit dem Sand zu verschmelzen.
Das Bild der arabischen Welt ist heute viel zu stark belastet durch Fanatismus und Gewalt, die ihre Wurzeln in der Intoleranz haben und im mangelnden Respekt vor der anderen Kultur. Eine Wechselwirkung wohlverstanden, die hin und her geht zwischen West und Ost und sich mit jeder Gegenbewegung verstärkt. Darunter leiden die kulturellen Beziehungen und die menschlichen, damit werden Vorurteile geprägt. Der Tunesier Nacer Khemir versucht, dem aufbauend etwas entgegenzuhalten. Der Erzähler von Geschichten aus dem arabischen Raum, der auch bei uns bekannt geworden ist und der mit dem märchenhaften Spielfilm «Le collier perdu de la colombe» einen der erfolgreichsten Filme aus dem arabischen Raum gestaltet hat, taucht ein in eine mystische Welt, die sich vom Iran bis in den Maghreb erstreckt und bis in den andalusischen Süden Spaniens, der 800 Jahre lang islamisch war. Er führt uns mit der Reise eines alten, blinden Derwischs und seiner Enkelin quer durch die unüberschaubaren Wüsten vor Augen, wie im Zentrum des Sufismus die Liebe steht, jenes Wort, für das sie arabische Sprache allein sechzig verschiedene Begriffe kennt.
Man geht bei den meisten Sufis davon aus, dass in den verschiedenen Religionen dieser Welt so etwas wie eine gemeinsame und damit grundlegende Wahrheit gefunden werden kann, was auch bedeuten würde: Dass die verschiedenen Religionen eine gemeinsame Basis haben. Vom Christentum, dem Islam und dem Judentum weiss man, dass es sich um die drei abrahamischen Religionen handelt, die denselben Urvater haben. Manche Sufis sagen, dass eben auch der Sufismus nicht eine ausschliessliche Sache des Islams sei, sondern als Mystik über den Religionen stehe und von Grundlegendem künde. Der Sufismus wiederum bildet mit seiner Lehre der Liebe das innere Lot im neusten Film von Nacer Khemir. Der grossartige Erzähler von kleinen Geschichten ist noch immer in alter Tradition unterwegs, in seinen Schilderungen schwebend leicht pendelnd zwischen dem Gewesenen und dem Erdachten. Er hat eine einzige Landschaft des Traums gezeichnet, jenseits der Geographien und Zeiten.
In Bab'Aziz singt er uns in einem ausgesprochen musikalischen Sinn eine Ode an die Wüste und die Sehnsucht nach Liebe. Der alte Derwisch, der da mit seiner Enkelin unterwegs ist, sieht aussen nichts mehr, dafür ist sein inneres Auge scharfsichtig. Er kündet uns von den Geschichten, die in Geschichten schlummern, vom Glück, das in uns ruht und vom Weg, den wir gehen, um an jenem Punkt anzukommen, an dem wir eins werden mit unseren Träumen. Für Bab'Aziz ist dies das Einssein mit dem Sand der Wüste, seinen Tod bezeichnet er als «Hochzeit mit der Ewigkeit». Khemir erzählt uns vom Prinzen, der die Welt des Sichtbaren verliess und in die unsichtbare Welt eintauchte, indem er seine Seele innig betrachtete.
Walter Ruggle

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Credits

Originaltitel
Bab'Aziz - Le prince qui contemplait son âme
Titel
Bab'Aziz - Le prince qui contemplait son âme
Regie
Nacer Khemir
Land
Tunesien
Jahr
2005
Drehbuch
Nacer Khemir
Montage
Isabelle Rathery
Musik
Armand Amar
Kamera
Mahmoud Kalari
KostĂĽme
Maud Perl
Produktion
Les Films du Requin, Behnegar, Pegasos Film and Hannibal Film in co-production with Inforg Studio an
Formate
35mm, DVD, Blu-ray, DCP
Länge
99 Min.
Sprache
Farsi, Arabisch/d/f
Schauspieler:innen
Parviz Shahinkhou, Maryam Hamid, Nessim Kahloul, Mohamed Grayaa, Golshifteh Farahani, Hossein Panahi

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Pressestimmen

«Bab’Aziz des Tunesiers Nacer Khemir ist ein Fest fürs Auge und eine Hymne aufs Erzählen und die Liebe. – Ähnlich wie in den Märchen aus 1001 Nacht geht hier ein Bann vom Erzählen aus: Geschichten vermitteln Liebe, heilen und verändern die Menschen.» Cineman

«Bab’Aziz ist ein kostbares Kleinod in einer Zeit, in der sich das Kino gerne als lärmende Unterhaltungsmaschine gebärdet. Wer sich gelassen mit Ishtar und Bab’

Aziz zusammen auf die Reise begibt wird reich belohnt. Denn in diesem Film geht es nicht zuletzt um die spirituelle Suche nach dem höchsten und edelsten Gut;

die Sehnsucht nach Menschlichkeit und Liebe, von der Geburt bis zum Tod.» Programmzeitung

«Fanatismus hat heute den Blick auf die grossen Errungenschaften der arabischen Kultur getrübt, aber im Sufismus findet Nacer Khemir Hoffnung, Hoffnung für alle. Die meisten Sufis glauben, dass in den verschiedenen Religionen eine gemeinsame übergeordnete Wahrheit zu finden ist. In seinem unvergessenen Film Das verlorene Halsband der Taube (1990) ging es darum, die sechzig Begriffe der arabischen Sprache für Liebe wiederzufinden. Sie könnte doch die verbindende Wahrheit sein.» Fred Zaugg, Der Bund

«In seinem dritten Spielfilm Bab’Aziz – eines seiner ältesten Projekte, für das er lange gekämpft hat – verflicht Nacer Khemir Zeiten und Länder zu einer imaginären inneren Landschaft und macht dem westlichen Publikum den geistigen Reichtum seiner Kultur bewusst.» Filmbulletin

«Die Wüste ist bei Nacer Khemir keine geografische Grösse, sondern ein imaginärer Ort, wo Figuren und ihre Geschichten wie aus dem Nichts auftauchen und auf ebenso rätselhafte Weise wieder verschwinden. Das episodisch verflochtene Erzählen Khemirs steht in der Tradition arabischer Erzählkultur: Aus einer Geschichte entwickelt sich eine neue, und aus dieser eine weitere und so fort, wobei die vorübergehende Desorientierung im Geflecht der Legenden, Erzählungen und Träume nur zur Faszination dieses Filmmärchens beiträgt.» Züritipp

«Die Poesie der Bilder erreicht ganz natürlich eine spirituelle Dimension, die die Sensibilität des Künstlers unaufdringlich in den Vordergrund stellt, voller Feinheiten, Tiefen und Intensität.» Hervé Dumont, Cinémathèque Suisse

«Die Bilder – Wüste, orientalische Pracht, schöne Geschöpfe – sind vielfach von unwiderstehlichem Zauber, die Geschichten unterhaltend und die Lehren überzeugend.» Espace Mittelland

«Damit malt er ganz andere Bilder als die eines fanatischen Islams in den Medien. Er hat sein kulturelles Erbe eigenständig auf die Leinwand adaptiert und so auch vor einer westlich-orientalistischen Verkitschung bewahrt. Ein Film, der zum Mitträumen einlädt.» Tipp Reformierte Medien

«Ein bildgewaltiger, märchenhafter Erzählteppich im Stil von «1001 Nacht», der sich jedoch nicht in blossem Exotismus erschöpft, sondern sich mit der Tradition des Sufismus auseinander setzt.» Filmdienst

«Der Film ringt auch um unseren so leicht verführbaren Geist, die Leichtigkeit des Seins und den Versuch, die Welt poetisch zu erfassen. Das war Nacer Khemir mit Das verlorene Halsband der Taube schon gelungen. Er fügt dieser Bilddichtung einen neuen Meilenstein dazu.» Programmkino

«Die eigentliche Fortsetzung dieser Tradition der Stille und Entsagung liegt in Khemirs strahlend schönem Film. Die Metaphern, die Gesänge, die Gedichte, die Liebenden und die von Gott Berauschten, die Farben der Wüste, sie sind diesmal nicht so konzise miteinander verbunden wie in Das verlorene Halsband der Taube. Dennoch hat die assoziative Verknüpfung, das lose Band, das die Erzählung in der Erzählung und der Traum im Traum um die Protagonisten schlingt, die Macht uns in Bann zu schlagen. Khemirs Kunst ist die unsichtbare Fessel der Liebe; man möchte sie um keinen Preis abstreifen.» Frankfurter Rundschau

«Der tunesische Autor, Maler und Erzähler Nacer Khemir schafft mit seinem dritten Spielfilm Bab’Aziz einen arabischen Traum, in welchem zeitlose Erzählstränge mit Elementen der Mystik und des Sufismus zu einem wunderschönen Film verwebt werden.» Deborah Young, Variety

«Der Tunesier Nacer Khemir breitet vor uns einen betörenden Bild- und Tonteppich aus, in dem man sich als Betrachter fast verlieren kann. Er erzählt von der Reise des blinden Grossvaters Bab’Aziz und dessen Enkelin Ishtar durch die Wüste zum Treffen der Derwische, schildert ihre Begegnungen und flicht weitere Geschichten ein. Ihre Vielzahl steht für die unterschiedlichen Wege, die zur Erkenntnis führen. Das lässt sich als Absage an Fundamentalismen aller Art lesen, doch Khemirs poetisch-bildhafte Erzählweise hält sich fern vom Thesenhaften, wird zum unmittelbaren Erlebnis durch einprägsame und vielschichtige Bilder.» NZZ

«Insofern ist Khemirs Film, der verglichen mit anderen nordafrikanischen Filmen wie Mille Mois oder L’enfant endormi auf den ersten Blick so unpolitisch erscheint, auch ein klares politisches Statement, gegen die Intoleranz, gegen die falsche Lesart des Islam, wie sie von Fundamentalisten verschiedenster Couleur verbreitet wird.» Niklaus Schäfer, Mybasel

«Bab'Aziz est un film d'une grande beauté qui apporte une paix du regard.» L'humanité, Paris

«Avec Bab'Aziz il démontre une fois encore son don calligraphique appliqué au cinéma, entremêlant les fils d'Ariane de ses différents personnages avec une dextérité de dentellière. Rarement, aussi, le désert n'aura été filmé de façon si sensuelle - trop esthétisante diront ses détracteurs! - mais en parfaite en adéquation avec la polyphonie chromatique du récit.» La Liberté

«Ceux qui avaient adoré en leur temps Les Baliseurs du désert (1986) et Le Collier perdu de la colombe (1991) s'étaient presque faits à l'idée que ces joyaux du cinéma maghrébin resteraient sans suite. Et voilà que surgit ce Bab'Aziz, qui les surpasse encore en beauté et en profondeur! Un film fêté aux festivals de Nantes et de Fribourg, tout acquis à sa cause, mais qui mérite de rencontrer un bien plus large public, tant son langage paraît universel, son propos à contre-courant et ses plaisirs nombreux.» Le Temps

«Un bel hymne à la paix et à la réconciliation.» Figaroscope

«Nacer Khemir réalise là un film d'une sidérante beauté, aussi fascinant que fourvoyant.» Africulture