Les hommes du port

von Alain Tanner, Italien, 1994
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Es ist, als würden sie ein Orchester dirigieren, die Hände der Docker von Genua. Dabei dirigieren sie den Kranführer, der die schweren Container aus- und einlädt. Im Alter von 17 Jahren war der Genfer Filmemacher Alain Tanner auf der Flucht vor der Sesshaftigkeit nach Genua gereist und hatte für eine Reederei gearbeitet. In seinem traumhaft sanften Essay kehrte er vierzig Jahre später zurück und dachte über beobachtete Veränderungen im Arbeitsleben und beim Filmen nach. Entstanden ist eine Bilder-Ode an den Hafen von Genua, seine Menschen, ihre Arbeit, ihr Verhältnis zur Arbeit, ihre Solidarität - untermalt von Arvo Pärts «Fratres» und «Tabula Rasa». Ursprünglich hoffte Tanner, den Hafen als Sprungbrett für Fahrten in die weite Welt benutzen zu können. Doch er blieb sesshaft, den Blick auf jenes Meer gerichtet, das später in mehreren seiner Filme wieder auftauchen sollte. «Les hommes du port» wirkt federleicht, trotz der gewichtigen Lasten, die da verschoben werden. Nicht nur Container und Frachtriesen, auch Gedanken zur Arbeitswelt, zum Klima unter den Dockern, die ihre Arbeit vom Vater zum Sohn übertragen und als Freiheit empfinden. Es ist die Würde, die diese Männer ausstrahlen. Es ist ihre Schönheit, die geradezu betörend wirkt, es sind ihre Sätze, wie sie ohne grosse Worte vom Wesentlichen reden. Und wenn dies alles nicht zum nostalgischen Kitsch gerät, so ist es das Verdienst des Filmemachers, der die Erfahrung der Docker mit seiner eigenen Arbeit zu verknüpfen versteht. Auch Tanner redet in der ersten Person, spricht seinen Kommentar selber.
Walter Ruggle

* * * * *

Alain Tanner zu seinem Film:
«Begeistert vom italienischen Neo-Realismus war ich 1947 zum ersten Mal nach Genua gefahren, um mir Italien anzusehen, dem zu dieser Zeit noch die Verwüstungen des Krieges anzusehen waren. Fünf Jahre später ging ich wieder dorthin. Diesmal, um der Enge meiner Heimat zu entfliehen. Ich hatte beschlossen, mich von der Handelsmarine anheuern zu lassen, um die Welt zu sehen. Bevor ich auf Frachtern rund um Afrika fuhr, blieb ich ein Jahr in Genua. Dort arbeitete ich bei einer Schiffahrtsgesellschaft. Es war mein erster Kontakt mit der Arbeitswelt, mit den Männern des Meeres und mit den Häfen. Vierzig Jahre später komme ich erstmals wieder nach Genua. Vierzig Jahre lang bin ich nicht mehr hier gewesen. Der Anblick von Hafen und Stadt hat sich nicht gross verändert, aber was sich heute dort abspielt, ist etwas total anderes. Die Stadt ist immer noch gleich schön, gleich fremd, und ein bisschen traurig. Der Hafen aber stirbt. Viele andere grosse Häfen sterben auch. In Genua, wie überall in Italien, ist das ökonomische, das soziale und das politische Umfeld höchst explosiv. Aber man spürt auch, dass sich etwas bewegt und dass das Land vor wirklichen Veränderungen steht. Während den letzten vierzig Jahren habe ich natürlich (wenn auch mit einem gewissen Bedauern) das Leben als Seemann aufgegeben und habe Kino gemacht. Heute möchte ich mit diesem Film das eine in den Dienst des anderen stellen oder das andere in den Dienst des einen. Über das Kino möchte ich in meine Erinnerung an den Hafen von Genua eintauchen, die Gegenwart ergründen und versuchen, die Zukunft zu erraten. Genua, diese schöne, diese traurige, diese fremde Stadt erscheint mir heute als Metapher für eine Gesellschaft im Wandel. Mein Aufenthalt in Genua, Anfang der 50er Jahre, war schwierig. Ich war ein bisschen einsam, verdiente knapp meinen Lebensunterhalt, trug Schuhe mit Löchern und halbierte die Zigaretten, um vierzig Stück pro Paket zu haben. Aber dieser Aufenthalt, in einem gewissen Sinn eine «Initiation», hat in mir einen tiefen Eindruck hinterlassen, der jetzt wieder auftaucht und es mir erlaubt, das Thema gleichzeitig objektiv, aus der Distanz, aber auch sehr persönlich anzugehen.»

Festivals & Auszeichnungen

Cinéma du Réel, Paris séances spéciales
Potsdam Film Festival
Rencontres Cinématographiques de Dunkerque
Nyon compétition
Solothurn Filmtage
Namur International Festival of French-Speaking Film
Cine Suizo para América Latina - Medellín
Ecocinema Festival
Minneapolis St. Paul

San Francisco Film Festival

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Credits

Originaltitel
Les hommes du port
Titel
Les hommes du port
Regie
Alain Tanner
Land
Italien
Jahr
1994
Drehbuch
Alain Tanner
Montage
Monica Goux
Musik
Arvo Pärt
Kamera
Denis Jutzeler
Ton
Henri Maïkoff
Produktion
Les Films du Cyclope, Thelma Films
Formate
DVD, DCP
Länge
64 Min.
Sprache
Italienisch, Französisch/d+f+e+i+sp+pt
Schauspieler:innen
Dokumentarfilm (documentaire)

Pro Material

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Pressestimmen

«Ein Dokument des Widerstands, ein direkter und ungekünstelter Blick auf ein Stück Wirklichkeit und zugleich auf ein Stück Utopie in Augenhöhe.» Zoom

«Alain Tanners erster Dokumentarfilm seit vielen Jahren strahlt die gelassene Souveränität eines alten Meisters aus; klassisch gebaut, ruhig erzählt, ganz der Kraft einer stringenten Argumentation vertrauend.» Tages-Anzeiger

«Wahres Kino.» Libération

«LES HOMMES DU PORT, un film vif et enlevé malgré le poids des charges - conteneurs et cargos monstres - qu'on y déplace. Réflexion sur le monde du travail et reflet de l'ambiance de cet univers de dockers, de la sensation de liberté qu'ils éprouvent à faire ce métier qui se transmet de père en fils, il vit de la dignité qui émane de ces hommes, de leur beauté captivante, mais aussi de leurs paroles qui, sans grands discours, vont à l'essentiel. Et si ce film ne tombe pas dans le piège du cliché nostalgique, c'est grâce à l'art du cinéaste qui sait faire le lien entre l'expérience des dockers et son propre travail. (...) Un film qui fait du bien.» Walter Ruggle, Tages-Anzeiger