Madrigal

von Fernando Pérez, Kuba, 2007
DVD

Havanna, heute. Kubanisches Schweben zwischen den Wirklichkeiten.
Luisita ist eine Theaterbesucherin, die sich als Zuschauerin masslos in den schönen Schauspieler Javier verliebt. Dieser glaubt nicht mehr an die grosse Liebe und folgt Luisita nur in der Absicht, ihre Wohnung übernehmen zu können. Der Beginn ihrer Abenteuer ist vom Misstrauen Luisitas geprägt und von den Täuschungen Javiers. Dann entdeckt er die innere Schönheit von Luisita, verliebt sich abgrundtief und idealisiert sie. Die beiden suchen sich, sind von einander magisch angezogen und trauen den Dingen doch nicht ganz. Nach einem Zeitsprung erleben wir eine Liebesgeschichte, die 2020 angesiedelt ist und aus der Feder von Javier stammt. Was ist es, was dereinst zählen wird? Und wie finden wir aus heiklen Situationen heraus? Das ist magische lateinamerikanische Erzählkunst. Eine (über)sinnliche Erfahrung.

«Nicht alles ist das, als was es uns erscheint», lautet ein zentraler Satz in Madrigal. Der Filmemacher Fernando Pérez hat mit "La vida es silbar" einen der erfolgreichsten kubanischen Spielfilme gestaltet und mit "Suite Habana" seine sanfte Erzählkraft unterstrichen. In Madrigal tastet er die fliessenden Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum ab, also zwischen dem, was ist, und dem, was man sich denkt. Er löst die Grenzen auf und erzählt die Geschichte einer unmöglich erscheinenden und dann umso intensiver gelebten Liebe, gestaltet als Traumgedicht ans Theater und ans Leben.

Die Erzählwelt, in die uns der Kubaner entführt, mag ungewohnt sein, aber im Ungewohnten steckt oft grösserer Reichtum, schlummern die neuen Erfahrungen. Pérez ist ein von Kino und Film durchtränkter Mensch, der es liebt, über kleine und grosse Filme der Filmgeschichte zu diskutieren, den das Spiel mit den Wirklichkeiten interessiert und den der Raum der menschlichen Fantasie fasziniert. Auch und ganz besonders intensiv hier. Er weiss, dass wir in einem Kinosessel sitzen, wenn wir seinen Film betrachten, in einer Theatersituation also, in der unsere Wirklichkeit als Gegenüber eine Wirklichkeit hat, die real da ist, aber uns auch bewusst etwas vorspielt. Und es ist just diese Situation, über die er uns einsteigen lässt in seine Welt.

Es ist, rein äusserlich betrachtet, ein Ausschnitt von Welt, ein Stück Karibik, genauer Kuba, präziser Havanna und daselbst das Viertel am Malecón, der Uferpromenade, die wenig Vergleichbares kennt auf der Welt. In dieser kubanischen Wirklichkeit spielt sich ein Stück Leben ab, geht eine junge Frau, die nicht den gängigen Model-Vorstellungen entspricht, immer wieder ins Theater. Dort schaut sie sich ein Stück an, aber viel stärker interessiert sie ein Schauspieler, der da seine Rolle spielt. Und damit befinden wir uns schon mitten drin in dem fliessenden Bereich zwischen Sein und Schein: Liebt sie den Schauspieler oder die Figur oder gar beides? Ein Phänomen, das wir alle kennen, wenn es uns gegönnt ist, der Fantasie freien Lauf zu lassen und einzutauchen in Geschichten und Welten. Der Film Madrigal ist eine Seherfahrung, in die einzutauchen sich lohnt, weil Fernando Pérez uns vor Augen führt, wie sehr wir alle Spielende und Betrachtende sind, innen und aussen. Wie schwierig es häufig ist, das eine vom anderen zu trennen. Am Ende finden sich in seinem Film Bühne und Wirklichkeit in einem Bild des Aufbruchs, sind innen und aussen eins geworden.
Walter Ruggle

Festivals & Auszeichnungen

Berlinale Special 2007 Best Cinematography, Festroja Setúbal

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Credits

Originaltitel
Madrigal
Titel
Madrigal
Regie
Fernando Pérez
Land
Kuba
Jahr
2007
Drehbuch
Fernando Pérez, Eduardo del Llano, Susana Maria
Montage
Julia Yip, Iñigo Remacha
Musik
Edesio Alejandro
Kamera
Raul Pérez Ureta
Ton
Daniel Goldstein, Raúl Amargot
Kostüme
Miriam Dueñas
Ausstattung
Erick Grass, Carlos Díaz
Produktion
Wanda Vision, ICAIC
Formate
35mm, DVD
Länge
117 Min.
Sprache
Spanisch/d/f
Schauspieler:innen
Carlos Enrique Almirante (Javier), Liety Chaviano (Luisita), Ana de Armas (Stella Maris), Luis Alberto García (Angel), Carla Sánchez (Eva), Yailene Sierra (Elvira), Anciano Arpa (Armando Soler)

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Pressestimmen

Es ist selten, dass man das Kino verlässt und das Gefühl hat, man sei eine andere Person. Genau diese Sensation hatte ich, nachdem ich den jüngsten Film von Fernando Pérez gesehen habe. Weit entfernt von den bekannten kubanischen Themen, der politischen und sozialen, geleitet uns dieser Film ins Reich der Fantasie... «Madrigal» erinnert uns in seinen stärksten Momenten an Borges: Ein grossartiger Film. Roman Kunzmann, Punto Latino «Der kubanische Regisseur Fernando Pérez hat ein vielstimmiges und vielschichtiges Gefühlsdrama inszeniert... Pérez ist ein Meister der metaphorischen Harmonik, und alles - das Reale, das Theatralische, das Melodramatische - fügt sich zu einer grossen, schönen Traurigkeit, die einen nicht nur formal anregt, sonden auch menschlich berührt.»
Christoph Schneider, Züritipp

«Fernando Pérez échappe dans Madrigal aux caractéristiques traditionnelles du cinéma cubain, où des éléments de la vie quotidienne se con-juguent avec des éléments représentatifs de la culture de cette île caribéenne.»
Le cinelatino

«Als hätte Magritte seine Bilder im heutigen Havanna gemalt, so habe er sich diesen Film erträumt, sagt Fernando Pérez über «Madrigal». Als filmisches Spiegellabyrinth zwischen Traum und Wirklichkeit.»
Florian Keller, Tages-Anzeiger

«Die Musikwissenschaft definiert das Madrigal als einen weltlichen Gesang von musikalischer und poetischer Vielstimmigkeit. Besonders im 16. Jahrhundert, liest man, sei es zu wunderbaren Kompositionsexperimenten voller kühner Chromatik, harmonischer Kontraste und raffinierter Wortmalerei gekommen; und das passt jetzt sehr gut auf den neuen Spielfilm des Kubaners Fernando Pérez («La vida es silbar»).»
Züritipp

«Natürlich ist jeder Film ein politischer Film, aber nach Suite Habana mit seiner expliziten Darstellung des kubanischen Alltags, wollte ich eine poetischere Sicht auf Havanna. Madrigal stellte für mich eine doppelte Herausforderung dar: Zum einen, weil er mit dramaturgischen Regeln bricht, zum anderen, weil ich ausprobieren wollte, wie ich – wie David Lynch gesagt hat – das Unsichtbare sichtbar machen und die Realität reflektieren kann, ohne sie direkt widerzuspiegeln.» Fernando Pérez Fernando Pérez, der wichtigste und erfolgreichste Filmschaffende aus Kuba, hat diesen Film dem Franzosen René Clair gewidmet. Dieser hatte 1955 seinen Film LES GRANDES MANOEUVRES gedreht, in dem Gérard Philipe als junger Offizier darum wettet, dass er das Herz von Michèle Morgan gewinnen wird, der schönsten und geheimnisvollsten Frau der ganzen Stadt. Was als das Spiel eines Charmeurs beginnt, entwickelt sich zu einer Leidenschaft auf beiden Seiten, endet aber dramatisch, als die Frau von der ursprünglichen Täuschung erfährt. Gérard Philipe aber liebt sie inzwischen tatsächlich. Er bittet die erzürnte Geliebte um Verzeihung. Als Zeichen ihrer Gnade solle sie das Fenster öffnen, wenn er bei der Parade an ihrem Haus vorüberzieht. Doch das Fenster bleibt geschlossen. René Clair hatte einen anderen Schluss vorgesehen, der nicht realisiert worden ist, weil die Produzenten ihn als zu tragisch empfanden. Mit MADRIGAL rettet Pérez das Ende in einer Liebesgeschichte, die im Havanna der Gegenwart spielt und von der Leidenschaft handelt, ja die Leidenschaft umsetzt. MADRIGAL est dédié à René Clair. Pourquoi ? En 1955, le réalisateur tournait son film LES GRANDES MANOEUVRES, où Gérard Philipe, en jeune officier, parie qu'il dérobera le coeur de Michèle Morgan, la femme la plus belle et la plus mystérieuse de toute la ville. Ce qui débute comme le jeu d'un séducteur devient une passion mutuelle mais se termine de façon dramatique lorsque la femme découvre le subterfuge initial. Pourtant, entretemps, Gérard Philipe l'aime réellement. Il demande pardon à sa maîtresse en colère. Pour lui signifier sa grâce, elle doit ouvrir la fenêtre quand il passe devant sa maison lors de la parade militaire. Mais la fenêtre reste close. C'est la fin du film tel que nous le connaissons. René Clair avait toutefois prévu un autre épilogue qui ne fut pas réalisé parce que les producteurs le trouvaient trop tragique : Michèle Morgan, blessée et bouleversée, ouvre le robinet du gaz dans sa chambre. Un domestique la découvre, morte. Il sent l'odeur de gaz et ouvre la fenêtre. Au même moment, Gérard Philipe défile sous les fenêtres de la maison, lève les yeux et croit que sa bien-aimée lui a tout pardonné. MADRIGAL sauve la fin de cette histoire d'amour qui se déroule à La Havane, de nos jours. Fernando Pérez «Fernando Pérez réussit à dépasser les frontière entre la réalité et la fiction pour arriver dans un lieu de narration purement libre.»
Walter Ruggle