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Interview

3 Fragen an Mo Harawe

Der somalisch-österreichische Autor und Regisseur Mo Harawe über sein Debüt «The Village Next to Paradise».

Die Handlung des Films ist an einem Ort namens «Paradise Village» angesiedelt. Welche Überlegung liegt diesem ambivalenten Namen zugrunde?

Für mich hat der Titel zwei Ebenen. Auf der einen Seite gibt es dieses Dorf am Meer, wo es so schön ist, dass die Vorstellung von Paradies naheliegend ist. Es gibt wundervolle Orte in Somalia mit wilden Stränden. Auf einer anderen Ebene kann dieser Name auch für Somalia selbst stehen; das Land hat ein unglaubliches Potenzial. Es hat die längste Küste Afrikas, mit dem Indischen Ozean auf der einen und dem Golf von Aden auf der anderen Seite, und eine Bevölkerung von weniger als 15 Millionen. Aber es gibt so viele Probleme, die sowohl von den Menschen dort als auch von äusseren Kräften verursacht werden. Für mich ist Somalia ein Land «neben dem Paradies»; es ist potenziell eine Art Paradies, aber aus vielen Gründen wird dieses Potenzial nicht ausgeschöpft.

Filmstill «The Village Next to Paradise»

Sie haben einen bewegenden männlichen Protagonisten, Mamargade, dessen Hilfsbereitschaft ihm immer wieder zum Verhängnis wird. Welche Faktoren haben Sie bei der Entwicklung Ihrer Hauptfigur und der Gesamtkonstellation der Charaktere beeinflusst?

Die Grundidee war, Geschichten von einer Vielzahl von Somalier:innen einzubeziehen. Wer diese Figuren sind und wie sie sich entwickeln, das kam aus dem Bauchgefühl heraus. Natürlich war von Anfang an klar, dass die erfundenen Figuren sehr realitätsnah sein sollten. Das Einzige, was für mich überhaupt nicht in Frage kam, war, sie als Opfer darzustellen. Die Menschen, die ich beschreibe, finden trotz aller Herausforderungen, die ihnen im Alltag begegnen, Wege, mit einer Situation umzugehen und sie zu lösen. Mamargade denkt nicht viel über die Folgen seines Handelns nach. Das ist es, was ihn so menschlich macht. Er sagt nie Nein – und das ist auch sein Problem. Alle Figuren haben eines gemeinsam: Sie sind füreinander da. Dieser Zusammenhalt ist auch der Grund, warum die Menschen in diesem Land überleben können.

Wie verliefen die Dreharbeiten in Somalia?

Es war von Anfang an klar, dass die Dreharbeiten für den Film länger dauern würden, als man es gemeinhin erwartet. Wir wollten mit einem lokalen Team arbeiten, waren uns aber der Herausforderung bewusst, dass es kaum Leute mit Filmwissen gab, da in Somalia keine Filminfrastruktur vorhanden ist. Ein paar Leute hatten durch meine Kurzfilme ein wenig Erfahrung am Set gesammelt. Ich bin der Auffassung, dass viele Aufgaben an einem Filmset erlernt werden können, wenn man genug Zeit und Geduld hat und motiviert ist. Stellen, die technisches Know-how erfordern, haben wir aus der weiteren Region besetzt: Kamera und Beleuchtung aus Ägypten, Ton aus Kenia und Uganda. Glücklicherweise waren die Leute sehr hilfsbereit, wenn wir Drehorte oder Genehmigungen benötigten. Nicht alle Locations waren vor Beginn der Dreharbeiten festgelegt worden, daher mussten wir manchmal nach einem Drehtag noch herumfahren, um die nächsten Orte zu finden. Das wussten wir vorher und haben genug Zeit dafür eingeplant.

Filmstill «The Village Next to Paradise»

Allgemein gab es nicht viel Vorbereitung im üblichen Sinne. Wenn wir am Drehort ankamen, hatten wir zehn Minuten Zeit, um uns zu überlegen, wie sich die Figuren bewegen und wo die Kamera positioniert werden sollten. Die Farben der Stoffe zum Beispiel standen schon fest. Für mich war es sehr wichtig, Stereotypen zu vermeiden. In Filmen, die in afrikanischen Ländern gedreht werden, überwiegt oft Gelb, auch bei den Hauttönen, und viel Grün. Das wollte ich vermeiden. Oft war es so, dass wir die Drehorte einfach so genommen haben, wie sie waren, weil sie einfach stimmten. Den Rest der Zeit ging es darum, Objektive und Einstellungen zu bestimmen. Am Anfang brauchten der Kameramann und ich ein bisschen Zeit, um uns zu verstehen, aber nach einer Woche riefen wir uns gegenseitig die Objektivgrössen zu. Es blieb keine Zeit für Diskussionen oder zum Ausprobieren. Das war auch gut so.

Filmstill «The Village Next to Paradise»
portrait Mo Harawe

Mo Harawe:

Mo Harawe ist ein somalisch-österreichischer Autor und Regisseur, geboren 1992 in Mogadischu. Er hat Visuelle Kommunikation und Film an der Kunsthochschule Kassel studiert. Nach seinen gefeierten Kurzfilmen Life on the Horn (2020), der eine lobende Erwähnung beim Locarno International Film Festival…

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