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«Die bittersüsse Geschichte gibt uns Gelegenheit, über unser eigenes Glück nachzudenken»
Dorottya Zurbó und Arun Bhattarai über ihren Dokumentarfilm «Agent of Happiness».

ARUN
Bhutan war von der Aussenwelt abgeschottet, bis es 2008 eine konstitutionelle Monarchie wurde. Es war auch das letzte Land der Welt, das 1998 Fernsehen empfing. Aufgrund seiner Abgeschiedenheit wird es von westlichen Medien oft als das letzte Shangri-La, ein verborgenes buddhistisches Königreich, dargestellt. In den letzten Jahren geriet es durch seine Entwicklungsphilosophie des Bruttonationalglücks (BNG) ins Rampenlicht. In Bhutan wird das Glück der Bürgerinnen und Bürger von Glücksforschern gemessen, die das Land bereisen. Auf der Grundlage der Ergebnisse werden die 5-Jahres-Entwicklungspläne erarbeitet.

DOROTTYA
Als Ungarin, die aus einem der pessimistischsten Länder der Welt kommt, war ich von der Idee beeindruckt, dass eine Nation ihre Identität auf der Grundlage von Glück aufbauen kann. Durch unsere belastete Vergangenheit habe ich ein instink- tives Misstrauen gegenüber von der Regierung initiierter Kommunikation und Propaganda. Aber in Bhutan funktioniert nichts so, wie wir es uns vorstellen. Ich war neugierig darauf, wie es sich auf die Menschen auswirkt, wenn ihnen Glück als offizielles Kriterium auferlegt wird – können wir glücklicher werden, wenn es in unser kollektives Bewusstsein injiziert wird? Arun und ich haben uns von dem Vorgehen, Gefühle und Lebenserfahrungen mit Formeln zu messen, inspirieren lassen. Es reizte uns, den Akt der Messung in eine filmische Erfahrung umsetzen, die über Diagramme hinausgeht, und uns dem Geist und der Seele der Menschen zu nähern. Mich interessierte die Frage, wie sie mit der Zerbrechlichkeit von Glück umgehen, wie man Glück auch in der tiefsten Trauer finden kann – nicht im Streben nach mehr, sondern im Loslassen – etwas, das auch ich in meinem Leben lernen muss.
ARUN
Als Bhutaner, der in der Zeit aufgewachsen ist, als das BNG geschaffen wurde, konnte ich ihm nicht entkommen. Wir wurden in der Schule darüber unterrichtet, sahen es im Fernsehen und feierten es sogar am Tag des Nationalen Glücks – dennoch hatte ich immer ein ambivalentes Gefühl in Bezug auf die Ideale des BNG, da ich einer ethnischen Minderheit angehöre. Das BNG fördert das menschliche Wohlergehen und nicht den materiellen Wohlstand, aber die Rechte der Lhotshampa, der nepalesischen Bhutaner:innen, wurden vernachlässigt. Dies war der Auslöser für uns, tiefer zu graben, einen lokalen Einblick zu bekommen und dem Publikum über persönliche Geschichten eine komplexere Sichtweise zu vermitteln.

DOROTTYA UND ARUN
Das führte uns ins «Happiness Center», wo wir unseren Hauptdarsteller Amber Gurung trafen, der als Glücksagent von Tür zu Tür geht, um den Glücksindex der Bürger:innen zu messen. Aufgrund seiner offenen, selbstironischen Ader fühlten wir uns sofort mit ihm verbunden. Als wir ihn besser kennenlernten, wurde uns klar, dass er tief im Inneren unglücklich ist. Er reist durch das Land, um das Glücksniveau der Menschen zu messen, ist aber selbst sehr einsam. Im Paradox des «unglücklichen Glücksagenten» sahen wir eine Dynamik, die die emotionale Handlung des Films vorantreiben würde. Seine Suche nach einer Partnerin wird durch die Tatsache erschwert, dass er keine Staatsbürgerschaft besitzt. Amber ist der erste Hauptdarsteller in einem bhutanischen Film, der aus der ethnischen Gemeinschaft der Nepali in Bhutan stammt. Sein herzerwärmender Charakter und seine Fähigkeit, Freude und Leichtigkeit in den hoffnungslosesten Situationen zu sehen, kann das Verständnis für seine Sorgen und die anderer Menschen wecken.

Die bittersüsse Geschichte gibt uns Gelegenheit, über unser eigenes Glück nachzudenken. Als Dokumentarfilmer sind wir auf der Suche nach authentischen menschlichen Schicksalen. Wir halten es für wichtig, die Dramen hinter alltäglichen Ereignissen zu zeigen, verborgene Wünsche, Träume und Ängste sichtbar zu machen. In unseren Filmen geht es oft um das Aufeinandertreffen von Kulturen, Identitäten, Werten und Mustern. Es fasziniert uns, durch das Vertraute beim Andern universelle Werte und Gefühle aufzeigen zu können, die uns verbinden, egal, wo auf der Welt wir aufwachsen. Wir glauben, dass es auch in schwierigen Zeiten wichtig ist, Geschichten mit erhebendem Potenzial zu erzählen, und dass dies eine unserer Aufgaben als Künstlerpaar ist.

Arun Bhattarai:
Arun Bhattarai (*1985) ist ein Regisseur, Kameramann und Produzent aus Bhutan. Sein erste abendfüllender Dokumentarfilm The Next Guardian (Co-Regie mit Dorottya Zurbó) – eine intime Familiengeschichte, die in Bhutan spielt – wurde 2017 an der IDFA uraufgeführt. Der Film lief bei mehr als 40 interna…

Dorottya Zurbó:
Dorottya Zurbó (*1988) ist eine ungarische Regisseurin. Ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm The Next Guardian (Co-Regie mit Arun Bhattarai) – eine intime Familiengeschichte, die in Bhutan spielt – wurde 2017 an der IDFA uraufgeführt. Der Film lief bei mehr als 40 internationalen Festivals im P…

Agent of Happiness
Artikel veröffentlicht: 18. März 2025
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