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Interview

«Wir erlauben dir»

Ein Gespräch mit dem jordanischen Regisseur Amjad Al Rasheed über seinen Film «Inshallah a Boy».

Wie würden Sie Inshallah a Boy in wenigen Worten beschreiben?

Es ist eine Geschichte rund um Überleben, Selbstbestimmung und Hoffnung. Mit dem Film möchte ich die Unterdrückung durch eine patriarchalische Gesellschaft anprangern und das Publikum zum Nachdenken anregen.

Wie sind Sie auf die Idee zum Film gekommen?

Ich bin in einer Familie mit vielen Frauen aufgewachsen. Auch wenn ich dabei war, unterhielten sie sich oft über die Probleme mit ihren Ehemännern und blendeten aus, dass ich, das Kind, trotz meines Alters neugierig war und aufmerksam mithörte. So wurde ich Zeuge davon, wie Frauen von der Gesellschaft und unserer Kultur dazu erzogen werden, missbräuchliches Verhalten von Männern zu akzeptieren, die ihnen Überzeugungen und Handeln diktieren. Schon in jungen Jahren wurde mir dadurch klar, wie sie mit repressiven Mustern umgehen und wie diese Haltung zur Norm wird.

Inshallah a Boy ist vom Schicksal einer nahen Verwandten inspiriert, die ihr Leben ganz ihrer Familie widmete und mit einem Mann zusammenlebte, der sie allmählich zu jemandem machte, den sie selbst nicht wiedererkannte. Als ihr Mann starb, sollte das Erbe nach den geltenden Gesetzen unter den engsten Verwandten des Verstorbenen aufgeteilt werden, da das Paar nur Töchter hatte. Seine Geschwister verzichteten jedoch auf ihren Anteil, um sicherzustellen, dass die Witwe und ihre Töchter in ihrem Haus bleiben konnten, und sagten ihr: «Wir erlauben dir, in deinem Haus wohnen zu bleiben.» Damit waren sie eine Ausnahmen, aber finanziell ging es ihnen eben gut.

Das «Wir erlauben dir» löste bei mir viele Fragen aus. Was wenn nicht? Welche Möglichkeiten hätte die Frau gehabt, wenn die Verwandten ihren Anteil verlangt hätten, wie es das Gesetz vorschreibt? Diese Fragen beflügelten die Grundidee des Films, der zeigt, wie wenig Kontrolle viele Frauen über ihr Schicksal haben und wie selbstverständlich ihre Rechte missachtet werden.

Filmstill aus «Inshallah a Boy»
Nawal mit ihrer Tochter Noura.

Wie verlief der Schreibprozess?

Zunächst drehte ich einige Kurzfilme, die an arabischen und internationalen Filmfestivals gezeigt wurden und Preise gewonnen haben. Das half mir, verschiedene Erzählansätze zu erkunden und ermöglichte mir, meine Stimme zu entdecken und herauszufinden, wie ich eine Geschichteerzählenmöchte. Schreiben beginnt bei mir in der Regel mit einer Idee, die aus einer Frage hervorgeht: Was wäre wenn? Was wäre, wenn diese Figur in dieser Situation wäre? Was würde passieren? Wie wird sie handeln? Das führt zu weiteren Fragen, die mich die Idee und Geschichte entwickeln lassen. Durch das Erzählen von Geschichten möchte ich Dinge in Frage stellen und das Publikum dazu ermutigen, diese Erfahrung ebenfalls zu machen, einen Dialog zu beginnen und Antworten zu finden versuchen. Ich glaube, dass wir Menschen besonders in der heutigen Zeit neugierig sein müssen. Zunächst wandte ich mich mit der Idee von Inshallah a Boy an meine Produzentin, Rula Nasser. Sie schlug mir vor, einen realistischeren Ton anzuschlagen, und plötzlich schien alles zu passen. Wir erarbeiteten den ersten Entwurf, recherchierten und fingen Situationen und Dialoge aus dem wirklichen Leben ein, um ein genaues Porträt unserer Gesellschaft zu zeichnen. Mit Hilfe von Delphine Agut brachten wir das Buch dann in eine kohärente Form, was für die Geschichte entscheidend war und Nawals Reise stützte.

Der Trailer zum Film

Wie haben Sie die Schauspieler:innen ausgewählt?

Ich nehme mir gerne Zeit, weshalb wir viele Castings organisiert haben. Meine Produzentinnen waren so grosszügig, mir in dieser Hinsicht freie Hand zu lassen. Natürlich spielen die bisherige Arbeit, das Talent und die Bandbreite an Emotionen, die jemand abrufen kann bei der Auswahl eine Rolle. Mir ist es jedoch am wichtigsten, dass ich die Schauspieler:innen als Menschen zu verstehen versuche. Ich veranstaltete zwanglose Treffen, bei denen ich ihre Körpersprache, ihr Verhalten und ihre Art sich zu bewegen beobachten konnte. Durch unsere Gespräche erfuhr ich auch viel über ihr persönliches Leben und lernte ihre Ansichten zu verschiedenen Themen kennen. Je nach Thema waren wir uns einig oder nicht. Auf diese Weise hatte ich die Schlüssel für jede Figur, und es war einfacher, den Darstellenden meine Erwartungen zu vermitteln und ihnen zu helfen, die richtigen Emotionen und Töne im richtigen Moment zu treffen.

Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich alle Hauptfiguren hatte. So erschloss sich mir jede Figur, und es wurde einfacher, den Darstellenden meine Erwartungen deutlich zu machen und sie dabei zu unterstützen, die passenden Emotionen und Rhythmen im entscheidenden Moment zu finden.

Filmstill aus «Inshallah a Boy»
Mutter und Tochter beim Abendessen in ihrer Wohnung, um die sie bangen müssen.

Wie haben Sie die Drehorte ausgesucht?

Wir haben zwischen Februar und März 2022 in Amman, Jordanien, gedreht. Die Geschichte spielt an drei Hauptschauplätzen: Nawals Haus in einer konservativen, einkommensschwachen Gegend, Laurens Haus im pulsierenden und wohlhabenden Westen Ammans und schliesslich im Raum dazwischen, dem öffentlichen Bereich, in dem Nawal auf ihrem täglichen Weg von einem Ort zum anderen direkt mit dem gesellschaftlichen Druck konfrontiert ist. Ich habe diese Orte wie Gefängnisse dargestellt, um die reale gesellschaftliche Situation der Frauen widerzuspiegeln. Nawal versucht, sich diese Räume zu erobern und entscheidet sich schliesslich, Autofahren zu lernen – denn dabei, in dem kleinen Raum, fühlt sie sich befreit von allen gesellschaftlichen Fesseln.

portrait Amjad Al Rasheed

Amjad Al Rasheed:

Amjad Al Rasheed, geboren 1985, ist ein jordanischer Regisseur und Autor, der seine Filmstudien mit Schwerpunkt auf Regie und Schnitt abgeschlossen hat. 2016 wurde er von der Branchenzeitschrift Screen International zu einem von fünf Stars des künftigen Arabischen Kinos erhoben. Er führte bei Kurzf…

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