Andrei Tarkowski
Andrei Arsenjewitsch Tarkowski (Андрей Арсеньевич Тарковский, auch transkribiert als Andrej Tarkovskij), geboren am 4. April 1932 in Sawraschje, Sowjetunion; gestorben am 29. Dezember 1986 in Paris, Frankreich) war ein sowjetischer Filmemacher.
Man könnte, reiste man ab auf die berühmte einsame Insel, die eine oder andere Filmkomödie mitnehmen, um sich dann und wann mit Keaton, Lubitsch, Tati oder Wilder köstlich zu amüsieren. Denkbar wäre auch, dass man sich an dem abgeschiedenen Ort vermehrt mit sich selber beschäftigen würde, der Crew in der Raumstation von SOLARIS gleich. Sie ist fern der irdischen Heimat auf sich selber zurückgeworfen. Man müsste also auch den einen oder anderen Film einpacken, der sich mit dem tieferen Sinn des menschlichen Seins beschäftigt: Von Andrei Tarkowski wäre jeder der sieben Spielfilme, die er in 25 Jahren geschaffen hat, geeignet.
Nur wenige Autoren lassen sich in der Filmgeschichte ausmachen, die ein derart geschlossenes Werk aufweisen. Vom ersten, halblangen Schulabschlussfilm DIE WALZE UND DIE GEIGE (1961) und dem Spielfilmerstling IWANS KINDHEIT an (1962 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet), prägt ein urfilmischer Trieb seine Arbeiten. Tarkowski selber schrieb in seinen Notizen von der «Skulptur der Zeit», die ihm vorschwebe; er entwickelte sie zur Meisterschaft. Seine Filme wirken gerade durch die intensive Auseinandersetzung mit der Arbeit an der Zeit zeitlos und unverwüstlich. Für den Russen war das Filmemachen eine absolut eigenständige Kunstform, das heisst: Ihm war das gängige abgefilmte Theater fremd. Also schrieb er in der Sprache der Bilder, mit den Elementen der Bewegung, also modellierte er eben das, was den Film von den anderen Künsten unterscheidet, was er in anderer Form nur mit der Musik teil: Die Zeit.
Erkenntnis war ein Wort, das Tarkowski zeit seines Lebens wichtig war. Erkenntnis war das, nach dem er als gläubiger Mensch strebte, wenngleich der Intellekt ihm sagte, dass es die letzte Erkenntnis nicht geben kann. Über die Angst davor, ans Ziel und damit an den Ursprung der Dinge zu gelangen, hat er in STALKER nachgedacht. In SOLARIS materialisiert sich das Innenbild des Menschen in der Sternenmasse, im ANDREI RUBLIOW droht die befreiende Sinnsuche in der stürmischen Brandung der Historie zu zerschellen, in OFFRET erscheint das Opfer eines Einzelnen als letzte Hoffnung, im SPIEGEL bricht das Wesen einer Person in ihren Spiegelungen.
Tarkowskis Filme sind zuallererst ganz intime, ganz persönliche Werke. OFRET hat er seinem Sohn Andrjuscha gewidmet: «mit Hoffnung und Vertrauen». NOSTALGHIA, der vom Heimweh handelt und damit von dem, was Heimat überhaupt sein kann, ist in Italien entstanden und «dedicato alla memoria di mia madre». In DER SPIEGEL liest Vater Arsenj aus seinen Gedichten, die auch im STALKER wieder verwendet werden. Aus der eigenen Seele herausgeschrieben entwerfen diese Filme mit visionärer Kraft das Bild einer Welt, in die menschliche Sehnsucht nach Geborgenheit und Selbstverwirklichung immer wieder verletzt wird durch äussere Umstände wie die Tatarenfeldzüge in ANDREI RUBLIOW. Die Sehnsucht nach einer Heimat, die in NOSTALGHIA ausgeprägt auch eine spirituelle ist, erweitert sich in STALKER um den Wunsch, zu sich zu gelangen. Hier stellen die Reisenden bei der Ankunft in der «Zone», die ihnen Antworten auf die letzten Fragen verspricht, als erstes fest: «So, wir sind daheim.» - «Welche Stille hier.» - «Es ist schön hier.»
1972 weilte Andrei Tarkowski als Jurymitglied am Festival von Locarno in der Schweiz. Er notierte in sein Tagebuch: «Die Schweiz ist ein unglaublich sauberes, gepflegtes Land, in dem sich wohlfÅülen kann, wer von der Hast des Alltags ausruhen möchte. Sie gleicht in gewisser Weise einem Irrenhaus; Überall Stille, höfliche Krankenschwestern, freundliches Lächeln.» Seine Filme würde ich mit auf die einsame Insel nehmen, weil sie stets ein Geheimnis bewahren und ich sie bei jedem Wiederschauen neu erlebe. Man müsste sie sich auch so alle paar Jahre anschauen. Auf der Insel Kino zum Beispiel.
© Walter Ruggle
Filmographie
1962 Iwanowo detstwo (Iwans Kindheit)
1966 Andrei Rubljow
1972 Solaris (nach dem Roman "Solaris" von Stanisław Lem)
1975 Serkalo (Der Spiegel)
1979 Stalker
1983 Nostalghia
1986 Offret (Opfer)
Offret (1986)
In Opfer, dem letzten Film des sowjetischen Regisseurs Andrei Tarkovsky, bricht über die Geburtstagsfeier eines Schauspielers eine apokalyptische Katastrophe herein. Der ehemalige Schauspieler Alexander (Erland Josephson) feiert seinen Geburtstag zusammen mit seiner Familie und einigen Freunden in seinem Haus an der Küste. Es ist ein schöner Tag, bis im Radio die Nachricht von einer Katastrophe kommt, die die ganze Welt bedroht. Um alles wieder so sein zu lassen wie am Vortag, will Alexander ein Opfer bringen, aber ob das helfen wird? Weiter
Nostalghia (1983)
Die Heimat in sich tragenAndrei Gortschakow, ein russischer Schriftsteller, reist auf den Spuren eines Komponisten aus seiner Heimat durch Italien, um dessen Biografie zu schreiben. Mit sehr viel Feingefühl für innere Stimmungen fern der Heimat zeichnet Andrei Tarkowski, unterstützt vom dramaturgischen Sensitorium des italienischen Drehbuchpartners Tonino Guerra, die Begegnung der Kulturen und Zeiten. Da wird in unerreichter Dichte spürbar, dass jenes Gefühl. Weiter
Stalker (1979)
Eine in Zeit und Ort nicht näher beschriebene Stadt, die am Rande eines als Zone bezeichneten Gebietes liegt. In dieser Zone geschehen seltsame Dinge, es gibt rätselhafte Erscheinungen, deren Ursache zum Zeitpunkt der Handlung schon Jahre zurückliegt und nur vermutet werden kann. War es eine Atomkatastrophe oder ein Meteoriteneinschlag - man weiss es nicht. Das Gebiet wurde evakuiert, abgesperrt und steht unter schwerer Bewachung. Im Vorspann des Films heisst es: «... Weiter
Der Spiegel - Zerkalo (1975)
Der Russe Andrei Tarkowski wollte uns in seinen Filmen nie einfache Geschichten erzählen. Er lädt uns heute noch ein, in seinen Filmflüssen aufzugehen, das wahrzunehmen, was wir selber ahnen mögen, was sich uns aber so einfach nicht zeigt. Er selber notierte: «Das Unendliche ist etwas, das der Bildstruktur immanent ist. Weiter
Solaris (1972)
Die Filme des Russen Andrei Tarkowski scheinen für die Ewigkeit geschaffen, und so hat auch sein Science-Fiction-Film SOLARIS etwas absolut Zeitloses (die Kostüme waren schon zu seiner Entstehungszeit anfangs der 1970er Jahre heillos veraltet und von daher modern). „Solaris“ geht auf den 1961 erschienenen Roman des polnischen Autors Stanislaw Lem zurück, der Tarkowski zu einem auf den ersten Blick überraschenden Abstecher in die Welt der Science-fiction inspirierte. Weiter
Andrej Rubljow (1966)
Andrej Rubljow schildert in unvergesslichen Tableaus die Lebensgeschichte des malenden Mönchs Rubljow (Anatolj Solonizin), der als Schüler des Griechen Theophanes mit seiner Ikonenmalerei stilbildend werden sollte. Andrei Tarkowski zeichnet ein Künstlerleben inmitten eines brutalen mittelalterlichen Umfelds und denkt damit über das Verhältnis von Kunstschaffenden und Gesellschaft nach. Er plädiert für die Freiheit von Mensch und Kunst. «Russland, Russland, was es doch alles erdulden muss, alles erträgt. Weiter
Iwans Kindheit (1962)
Den Hintergrund des ersten Spielfilms von Andrei Tarkowski bildet der Zweite Weltkrieg, im Zentrum steht der 12-jährige Knabe Iwan. Im Rahmen des offiziellen Programms an Filmen entstanden, verblüfft noch heute, wie es der Russe schaffte, einen Film zu drehen, der quer zum System stand und den Krieg aus der Perspektive eines Buben zeigte, eines Jungen notabene, der total verhärtet wirkt, nachdem er seine Familie verloren hat und einem Lager entkommen ist, der wenig Perspektiven sieht und ganz einfach eines will: Den Tod seiner Liebsten rächen. Weiter
Die Walze und die Geige (1961)
Andrei Tarkowski erzählt in seinem ersten halblangen Film von einem Jungen namens Sascha, dessen Ein und Alles seine Geige ist und der sich dadurch zum Aussenseiter macht. Andere Kinder setzen ihm zu, und in so einer Situation steht ihm der Fahrer einer Strassenbauwalze bei und ermuntert ihn später, seinerseits einem bedrängten Jungen zu helfen. Zwischen dem Walzenfahrer Sergei und Sascha entwickelt sich eine zarte Freundschaft. Nachdem anfänglich Sascha auf der Walze fahren durfte, bekommt später Sergei einen Einblick ins Geigespiel. Weiter