Jiri Menzel

Jiří Menzel gehörte zu den talentiertesten Komödienregisseuren des Kinos. Gerade mal 28-jährig holte sich der 1938 geborene Tscheche mit «Scharf Beobachtete Züge» den Oscar für den besten fremdsprachigen Film 1967. Es wurde ein Schlüsselwerk des Prager Frühlings. Doch dann fällt sein Film «Lerchen am Faden» der Zensur zum Opfer – die Phase der Liberalisierung und der tschechischen Nouvelle Vague ist mit der Niederschlagung des Prager Frühlings vorbei. Menzel entscheidet sich, im Land zu bleiben. Er arbeitet als Regisseur und Schauspieler für Film und Theater. Mit seinen erfolgreichen Komödien der 1970er Jahre lotet er die Grenzen des politisch Machbaren aus. Am 5. September 2020 ist Jiří Menzel nach längerer Krankheit in seiner Heimatstadt Prag gestorben.
«Als ich zur Welt kam, wog ich anderthalb Kilo. Alles, was dazu kam, ist mein Verdienst», sagte Jirí Menzel einmal über sich selbst, und zählt auf, was ihn prägte: «Humor bekam ich von meinem Grossvater mütterlicherseits, meinem Vater verdanke ich seine Kultur. Ich wuchs mit seinen Büchern auf. Und frech zu anderen Menschen zu sein, ohne dass sie auf mich böse werden, übte ich an meiner Mutter.» Geboren am 23. Februar 1938 in Prag, kam er bereits in seiner Kindheit mit der Filmkunst in Berührung. Sein Vater Josef Menzel, Redakteur der Zeitschrift «AList», Publizist und Schriftsteller, arbeitete auch als Dramaturg für animierte Trickfilme. Nachdem ihm das Studium der Theaterregie verwehrt blieb, gelang ihm 1957 die Aufnahme an der Prager Filmakademie FAMU.
In der Klasse von Otakar Vávras traf er zusammen mit Vera Chytilová, Evald Schorm, Jan Nemec, Pavel Jurácek und anderen, die später den Kern der tschechoslowakischen «Neuen Welle» bildeten. Über seinen Lehrer spricht er bis heute mit Dankbarkeit und tiefem Respekt: «Er lehrte mich zu verstehen, dass ein Filmregisseur keineswegs den Mittelpunkt des Universums darstellt. Eine bittere, doch sehr nützliche Erkenntnis.» 1962/63 schloss Jirí Menzel sein Studium der Film- und Fernsehregie mit dem Film «Unser Herr Förster starb» ab. Die Methode, mit der er Motive aus einer Erzählung der tschechischen Autorin Jindriska Smetanová verarbeitete, wurde sogleich stilbildend. In den 1960er Jahren wirkte Jirí Menzel ausserdem in vielen tschechischen Filmen als Schauspieler mit. In der Periode des Tauwetters, die in den 1960er Jahren in der tschechoslowakischen Kulturpolitik einsetzte, machten sich Jirí Menzel und seine Kommilitonen an der FAMU auf, das tschechische Filmschaffen grundlegend zu erneuern. Die so genannte Neue Welle entstand. Die 1965 von den jungen tschechischen Regisseuren Nemec, Schorm, Chytilová, Jireš und Menzel nach der Vorlage der Erzählungen Bohumil Hrabals geschaffene Kurzfilmreihe «Perlchen am Grunde» wurde zum Manifest der Bewegung. Menzels Beitrag, der Kurzfilm «Der Tod des Herrn Baltasar» machte ihn als Regisseur bekannt.
EIN OSCAR
Sein erster abendfüllender kommerzieller Film, die Komödie «Ostre sledované vlaky» (Scharf beobachtete Züge oder Liebe nach Fahrplan), bescherte dem jungen Regisseur den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film 1967. Er gilt bis heute als Meisterwerk (und ist jetzt in restaurierter Fassung wieder zu sehen oder neu zu entdecken). Auch hier stützte sich Menzel wieder auf Hrabals Prosa und formte daraus eine unpathetische Erzählung über Heldentum und Heimatliebe, zusammengesetzt aus den Szenen eines Lebens inmitten von Okkupation und Krieg – unkonventionell und teils grotesk gezeichnet. Um den Eisenbahnlehrling Miloš und die kleine Eisenbahnstation, bei der er in den letzten Kriegswochen seinen Dienst tut, ent- wirft Menzel ein wahres Stillleben der Figuren und Figürchen.
Der junge Milo, aus der Vertrautheit seines Elternhauses in die Welt geschickt, hat eigentlich genug zu tun mit den Problemen des Erwachsenwerdens und muss doch auch noch zurechtkommen mit der gesellschaftlichen und politischen Realität seiner Zeit. Am Ende wird er einen Munitionszug in die Luft sprengen und damit zum Held. Menzels Idee, das hehre Thema des Freiheitskampfes in den 1940er-Jahren mit einem Motiv zu verknüpfen, das den Konventionen völlig widersprach, der Sexualität, blieb nicht ohne Kritik. Auf den Hollywood-Erfolg folgten bis zum Ende der 1960er Jahre weitere Spielfilme. Nach der gleichnamigen Novelle des Schriftstellers und Filmregisseurs Vladislav Vancura drehte Menzel 1968 den Film «Rozmarné léto» (Ein launischer Sommer). In die provinzielle Sommeridylle um den Bademeister Antonín fallen plötzlich der Zauberer und Seiltänzer Arnosˇtek und seine anmutige Begleiterin Anna ein und reissen das gesamte Städtchen aus seinem Schlummer. In die Kinos kam Ein launischer Sommer 1968, als die Euphorie des Prager Frühlings ihren Höhepunkt erreichte. Die Bemerkung des Bademeisters Antonín, «diese Art des Sommers erscheint mir etwas merkwürdig», sollte einige Monate später einen zusätzlichen bitteren Beigeschmack bekommen.
ZENSUR
Im Okkupationsherbst 1968 kam «Verbrechen im Tingeltangel» in die Kinos – eine schwarze Kriminal- und Musikkomödie. Der Film ist Teil eines Krimitryptichons, mit dem Menzel bereits drei Jahre zuvor begonnen hatte. Jirí Menzels nächstem Film wurde der Kinostart von der kommunistischen Zensur verwehrt, er bescherte dem Regisseur ein zwar nie konkret ausgesprochenes, de facto aber mehrjähriges Arbeitsverbot. «Skrivánci na nitích» (Lerchen am Faden) von 1969 spielt auf einem riesigen Schrottplatz in den Hüttenwerken von Kladno, die in den 50er Jahren als Umerziehungslager für «bourgeoise Elemente» und Feinde des Systems dienten. Die literarische Vorlage für die wundersamen Figuren lieferten abermals Erzählungen Bohumil Hrabals. Versteckter Humor als künstlerisches Mittel, aber auch Situationskomik in Wort und Bild tragen diesen verhalten optimistischen und in der Art Hrabals realistisch absurden Film, der erst 20 Jahre später in die Kinos kam und 1990 an der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde.
NACH 1968
In den fünf darauf folgenden Jahren durften Jirí Menzel keine akzeptablen Drehbücher mehr angeboten werden. Er betätigte sich international als Theaterregisseur und national als Filmschauspieler – als «ideologisch schädliches Element» auf negative Rollen abonniert. 1974 schliesslich näherte sich Menzel mit seiner nächsten Produktion unter dem Titel «Wer goldenen Grund sucht» zumindest thematisch dem Kanon des sozialistischen Realismus. Gemeinsam mit Zdenek Sverák drehte Menzel eine einfache Geschichte über einen jungen Soldaten, der ins zivile Leben zurückkehrt, um als Bauarbeiter sich und seiner kleinbürgerlichen Freundin zu beweisen, dass er keine Angst vor harter Arbeit habe. Obwohl ihm mancher angesichts dieses Stoffes vorwarf, er habe sich verkauft und aufgegeben, bereute es Jiri Menzel nicht, den Film gedreht zu haben.
14 Jahre später begründete er dies in einem Zeitungsinterview: «Auf dem Bau lernte ich sehr anständige Menschen kennen, und überhaupt, einen Film über die Arbeit zu machen, ist – denke ich – nützlicher als einen Film über Morde zu drehen. . .» Menzels langjähriger Kameramann Jaromír Šsofr vollbringt in Wer am goldenen Grund sucht eine seiner Glanzleistungen. Wiederum in Zusammenarbeit mit Sverák drehte Jirí Menzel 1975 die Komödie «Häuschen im Grünen gesucht». Die einfache Geschichte – eine Prager Familie sucht ein Wochenendhaus, um der Grossstadt zu entfliehen – nutzt der Filmemacher für eine hintergründige Auseinandersetzung mit dem komplexen Beziehungsgeflecht der Protagonisten untereinander. 1978, anlässlich des 80-jährigen Jubiläums der tschechischen Kinematographie, entsteht «Die wunderbaren Männer mit der Kurbel», ein Film über die Geschichte des Films – in der Kulisse des Prag der Jahrhundertwende.
DIE LUSTIGEN ACHTZIGER
Auch in den 1980er Jahren arbeitete Jiri Menzel mit Vorliebe nach literarischen Vorlagen und übersetzte Werke der Altmeister der tschechischen Literatur, Vladislav Vancura und Bohumil Hrabal, in die Sprache des Films. 1981 kommt «Kurzgeschnitten» in die tschechischen und slowakischen Kinos, die Komödie wird bis 1985 von über 2 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern gesehen. Die farbenfrohe Umgebung einer Kleinstadtbrauerei aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bildet den filmischen Rahmen der kleinen Dramen des Lebens. Im Vordergrund stehen die liebevoll gezeichneten Protagonisten mit ihren emotionalen Verstrickungen und närrischen Eskapaden. Etwas rauer und damit der Gegenwart näher kam 1983 die filmische Umsetzung einer Vorlage von Bohumil Hrabal unter dem Titel «Das Wildschwein ist los», ein alberner Wettstreit zweier Jagdvereine aus zwei benachbarten Dörfern um eine groteske Jagd auf einen angeschossenen Eber.
DER BEGINN NEUER ZEITEN
Auch Menzels nächster Film von 1985 spielt auf dem Lande: «Heimat, süsse Heimat» ist eine Filmkomödie über das etwas skurrile Leben in einem kleinen Dorf, irgendwo mitten in der realsozialistischen Provinz der Tschechoslowakei der 1980er Jahre. Den Film sahen damals in der Tschechoslowakei fünf Millionen Menschen, was noch heute ein grosser Erfolg für einen kommerziellen Film wäre. Ende 1988 nimmt sich Menzel abermals einer Vorlage Vancuras an und verfilmt mit «Ende der alten Zeiten» eine wilde Geschichte aus der Zeit der Ersten Republik. Die politische Entwicklung 1989 fegte die alten Strukturen des sozialistischen Blocks zumindest oberflächlich rasch hinweg. Vorbei waren die Zeiten, in denen man gesellschaftskritische Aussagen mit vorsichtigem Humor und feiner Ironie verschlüsseln musste. Die Filmkunst hatte sich verstärkt der Notwendigkeit finanzieller Rentabilität, dem Quotendruck der Marktwirtschaft sowie dem Kampf um Sponsoren zu stellen.
Jiri Menzel adaptierte Anfang 1991 ein erfolgreiches Theaterstück von Václav Havel, inspiriert von John Gay, für den Film «Zebrácká opera» (Prager Bettleroper), mit Josef Abrhám in der Hauptrolle. Während der Dreharbeiten kommt es zu einer zufälligen Begegnung mit dem US-amerikanischen Regisseur Steven Soderbergh, der gerade in Prag seinen Film Kafka mit Jeremy Irons drehte. Dieser Begegnung hat die Filmgeschichte zu verdanken, dass Josef Abrhám und Jeremy Irons im jeweils anderen Film augenzwinkernd eine Minirolle übernahmen. Jiri Menzels Spielfilm «Die denkwürdigen Abenteuer des Soldaten Iwan Tschonkin» von 1993 erzählt die Erlebnisse eines Seelenverwandten des böhmischen braven Soldaten Schwejk im bolschewistischen Russland. Wiederum wusste Menzel der Tristesse der sozialistischen Realität Menschennähe und Humor entgegenzusetzen, greift jedoch hier zu sarkastischeren Mitteln als früher und lässt sich künstlerisch beinahe zu einer Abrechnung mit dem vergangenen Regime hinreissen, vergleichbar vielleicht mit Billy Wilder und seinem Film «One, Two, Three». Menzels schwärzeste Komödie – bewusst in Russisch gedreht, leider aber ausschliesslich synchronisiert veröffentlicht – wurde finanziell zu einem Flop, woraus das Gerücht entstand, dass der enttäuschte Menzel in Zukunft keine Filme mehr drehen wolle.
DIE ZEIT
Die 1990er Jahre waren eine Phase, in der sich Jiri Menzel wieder stärker dem Theater zuwandte, bis 2003 war er beim Prager Schauspielklub als Direktor des Theaters Divadlo na Vinohradech tätig. Bis auf einen bemerkenswerten zehnminütigen Beitrag zum Gemeinschaftswerk Ten Minutes Older von insgesamt 15 renommierten Regisseuren zum Thema Zeit verstrich über eine Dekade, bis sein nächster Film in die internationalen Kinos kam. Auf seine lange Abstinenz angesprochen, antwortet Menzel einem Interviewer: «Fein! Wenn ich mal einen freien Nachmittag habe, drehe ich einen Film. . .» – und brachte mit der ihm eigenen Ironie damit auch seine Unzufriedenheit mit gewissen Entwicklungen des gegenwärtigen Filmgeschäfts zum Ausdruck. Streitereien über Filmrechte und Intrigen veranlassten Jiri Menzel sogar, am internationalen Filmfestival in Karlsbad 1998 einen Eklat zu provozieren, der ihm unverhoffte Sympathien bescherte. Die Rede ist von Jiri Menzels sechster Verfilmung eines Romanes des damals bereits verstorbenen Bohumil Hrabal.
Von der tschechischen Kritik verrissen, wurde der Film vom Internationalen Kritikerverband an der Berlinale mit dem Fipresci-Preis ausgezeichnet. «Obsluhoval jsem anglického krále» (Ich habe den englischen König bedient) übertraf alle Erwartungen und stellte in Tschechien und der Slowakei einen historischen Publikumsrekord auf. Der teuerste tschechische Film aller Zeiten beschreibt virtuos Jan Dítes Auf- und Abstieg vom Aushilfskellner zum Hotelier zum Häftling vor dem Hintergrund der dramatischen Jahre während und kurz nach dem 2. Weltkrieg. Wiederum prägen Humor und feine Ironie die Filmsprache von Menzels Parabel über die Gefahren des Opportunismus. Von der Oscar-Verleihung zurückgekehrt, gab der dreissigjährige Jiri Menzel 1967 zu Protokoll: «Alles, was uns repräsentiert, enthält Humor. Der ist uns nicht angeboren, der wurde uns aufgezwungen. Denn ohne Sinn für Humor kann man in der Tschechoslowakei gar nicht leben.»
© Robert Kolinsky
Shortcuts - Kurzgeschnitten (1981)
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