Lumumba
An der Berliner Konferenz von 1885 teilte Europa den afrikanischen Kontinent unter sich auf. Der Kongo wurde zum persönlichen Eigentum des Königs Leopold II. von Belgien. Am 30. Juni 1960 wurde ein junger Nationalist mit Namen Patrice Lumumba der erste Regierungschef in einem neuen, so genannt unabhängig gewordenen Staat. Zwei Monate sollte er in seinem Amt bleiben, bis er mit tatkräftiger Unterstützung aus den USA und aus Europa verschleppt und niedergemacht wurde. An seiner statt wollte man lieber eine Marionette, und so wurde Kolonel Joseph Mobutu bar jeglicher Erfahrung ins Amt gehoben.
Die Geschichte von Patrice Lumumba ist die Geschichte einer der wichtigsten Figuren der schwarzafrikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Raoul Peck, der als Jugendlicher selber im Kongo gelebt hatte und bereits einen Dokumentarfilm zu Lumumba drehte, erzählt sie uns mit der grossen Geste des Dokudramas. Ein Lehrstück darüber, wie die so genannt zivilisierte Welt mit Regionen umspringt, die sie in die so genannte Unabhängigkeit entlässt. Diese Geschichtslektion ist auch Gegenwart.
Gedanken des Regisseurs Raoul Peck
Das Schicksal von Patrice Lumumba wirkt bis heute nach wie eine Prophezeiung. In Afrika und in Europa zeigt sich Tag für Tag, dass die Gewinn- und Machtansprüche an die Dekolonialisierung nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Nur die Methoden haben geändert. Was meint Unabhängigkeit in einer Welt, in der ökonomische und militärische Blöcke einander konfrontieren? Was bedeuten Demokratie, Einheit, Nation, Recht und Gesetz, wenn Konflikte zwischen Menschen und ethnischen Gruppen die öffentlichen Debatten ersetzt haben, in der Absicht Interessenskonflikte zu verbergen? Wie kam es, dass sich an Lumumba solche Brutalität, solcher Zorn entzündet haben? Warum wurde ausgerechnet er von all den Führerfiguren rundum, die ihren Machtbereich markiert hatten, von der Geschichte wegrasiert? Die tragische Figur Lumumba bewegt die Gemüter heute noch so wie sie es gestern tat. Lumumba stört, er wirft Fragen auf über unser Zeitalter, über vergangene und gegenwärtige Fehler. Während 18 Monaten diente ich als Kulturminister meines Landes Haiti. Es war eine Wahl aber auch eine Notwendigkeit: wegen meiner Filme, aus Verantwortungsgefühl, und wegen eines Landes, das Generation um Generation seine Ressourcen zerstört. So erlebte ich während 18 Monaten harsche, erbarmungslose politische Streitereien, in einem Land, das noch immer zwischen hegemonischem Populismus und Demokratie schwankt, geprägt von einer geschichtlichen Entwicklung, in der das Wort "Demokratie" nie mehr Sinn bekommen hat als den einer abstrakten Idee ohne Tradition.
Nach dieser Erfahrung, die ebenso bereichernd war wie spannungsvoll, bin ich zu meinem Lumumba-Projekt zurückgekehrt. Es war eine Möglichkeit, aufgrund meiner eigenen Erfahrung, ein von Anfang an gestörtes und kompromittiertes politisches Schicksal darstellen zu können. Es war auch ein Weg zurück zu einem Territorium, dessen Konturen ich heute besser erkennen kann, eine Möglichkeit ein mörderisches Verbrechen 40 Jahre später streng in ein Protokoll zu bringen. Eine Möglichkeit über meinen Schmerz, meine Trauer, meinen Zorn hinauszukommen. Eine Möglichkeit... Der Film "Lumumba" beschäftigt sich nicht mit einem veralteten, lokalen Ereignis. Es ist vielmehr die Geschichte einer Tragödie, die nie endet, die widerhallt in allen bekannten Tragödien in Afrika und Europa, von Ruanda bis Jugoslawien. Dieser Film ist weder Heiligenverehrung noch Chronik, er sucht vielmehr eine moderne Annäherung an einen historischen Helden, unter Einbezug der romantischen und politischen, der privaten und der öffentlichen, der individuellen Geschichte und der Geschichte von uns allen.
Raoul Peck
Festivals & Auszeichnungen
Quinzaine des réalisateurs, Festival de Cannes 2000
Credits
Möchten Sie diesen Film zeigen?
Bitte füllen Sie unser Formular aus.
Kontaktieren Sie uns
Pressestimmen
«Im heiklen Verhältnis von Fiktion und historischen Tatsachen ist es schon zu manchen Peinlichkeiten gekommen, wenn jemand aus ehrlicher Sentimentalität dem Hang zur Kolportage nachgab. Aber hier erleben wir einmal, wie sich aus dem raunenden Anfang eines Spielfilms die Glaubwürdigkeit einer Dokumentation entwickelt. Pecks «Lumumba» führt in die komplexe Zerrissenheit einer belgischen Kolonie, die 1960 unabhängig wurde, aber für Europa und die USA handzahm bleiben sollte. Er zeigt die Regeln des postkolonialen Machtspiels und den auch im Kongo ausgefochtenen Kalten Krieg. Er definiert Ethnien und Parteien, Träume und Interessen. Und mittendrin steht Lumumba, der es vom Postbeamten und Biervertreter zum Ministerpräsidenten brachte und es mit dem Begriff der Unabhängigkeit zu genau nahm: ein Held mit dem Talent, sich Feinde zu machen, und dem Fehler, sie unterschätzt zu haben. Raoul Peck, geboren 1953 in Port-au-Prince, Journalist, Filmemacher und ehemaliger Kulturminister seiner Heimat Haiti, hat einen Teil seiner Jugend im Kongo verbracht und drehte Anfang der Neunzigerjahre bereits den dokumentarischen Essay «Lumumba, la mort d’un prophète». Natürlich nimmt er Partei. Die Romantik des kämpferischen Engagements mischt sich mit der politischen Analyse. Sein Spielfilm ist das historische Drama der Konsequenz, und darüber steht Sartres Satz, dass ein tragischer Held der sei, den jeder ungestraft verraten könne.»
Christoph Schneider, Tages-Anzeiger
«An den Anfang seines Films stellt Raoul Peck Szenen von der Hinrichtung Patrice Lumumbas. In der Folge zeichnet er die Intrigen, Winkelzüge und Fehleinschätzungen nach, die Anmassung und den Zynismus, die Kongo-Zaire in die Wiege gelegt worden sind und die bis heute nachwirken. Zwar scheinen die nach vierzig Jahren Unabhängigkeit von afrikanischen Politikern immer noch gerne vorgebrachten Ausflüchte von den bösen Kolonialmächten mittlerweile bemühend, doch im Fall Kongos steckt ein wahrer Kern darin. Als ob die Verbindung hätte sichtbar gemacht werden müssen, wurde der Diktator Kabila fast auf den Tag genau vierzig Jahre nach Lumumba umgebracht. Kabila war ein Gefolgsmann Lumumbas. Kabila schlug seine Wurzeln als Revolutionär in den Wochen nach der Unabhängigkeit, als es zu Wirren in der Provinz Katanga kam, und fortan sprach auch er oft und gern vom neuen Afrika, ehe er von der Macht besessen wurde. (...) Statt den seinerzeitigen Dokumentarfilm mit den neuen historisch gesicherten Wahrheiten zu komplettieren, wählte Peck die Form des Dokudramas für ein komplett neues Werk. Trotzdem ist er sehr nahe an der verbürgten Realität geblieben, unterstrichen durch aufwendige Requisiten. Eriq Ebouaney spielt die Figur des Lumumba überzeugend. In authentischer Atmosphäre kann der Zuschauer nachvollziehen, wie Präsident Kasa-Vubu gegen Lumumba intrigierte, wie Joseph Désiré Mobutu davon profitierte und vom Unteroffizier zum Armeechef aufstieg.»
Oswald Iten, NZZ
«Der haitianische Regisseur Peck («L’Homme sur les Quais»), der sein Handwerk in Berlin lernte, drehte schon 1991 einen eindrücklichen Dokumentarfilm über Lumumba. Hier verarbeitet er in sehr persönlichem Stil episodenhaft und dokumentarisch die Geschichte als Spielfilm. Die afrikanischen Darsteller, Ebouaney als Lumumba und Nzonzi als sein ruchloser Gegenspieler, sind sehr überzeugend. Betont subjektiv und kritisch beschreibt Peck die leidvollen Folgen des Kolonialismus und klagt ihn gleichzeitig emotionsgeladen an.»
Facts
«C'est passionnant et passionné. On est tenu en haleine grâce à un scénario "à suspense" cosigné Pascal Bonitzer (...) à bien des égards, Lumumba rappelle Malcolm X de Spike Lee.»
Studio Magazine
«Filmer le pouvoir (sa prise, sa fuite) et dans le même geste un temps (historique, intime); voir ce qui, dans la conjonction des deux, fait vaincre ou mourir des idées (politiques, existentielles), tel est le fond secret de Lumumba.»
Cahiers du Cinéma
«Un récit puissant, construit en tragédie, sous le signe d'un destin implacable. Nul besoin de forcer sur une dramaturgie inscrite dans l'histoire, riche de scènes d'une intensité inouïe : il y a une dimension shakespearienne dans ces luttes de pouvoir, ces trahisons, ces meurtres, ce martyre.»
L'Année du cinéma
«L'excellent film de Raoul Peck (...) a deux mérites : le premier est d'analyser parfaitement une situation complexe (...). Le second, de mettre en cause les responsabilités de chaque camp, y compris le camp des Congolais eux-mêmes.»
Le Nouvel Observateur