Magazin

Alle Artikel
Interview

«Ich merkte, dass ein gewisser Rassismus in mir verankert war»

Ein Interview mit Regisseur Mohamed Kordofani über seinen ersten Spielfilm «Goodbye Julia».

Wie haben Sie die Premiere in Cannes erlebt?

Es war unglaublich. Man muss sich vor Augen halten, dass der noch unfertige Film erst einen Monat vor Festivalbeginn selektioniert wurde und diese Ankündigung genau mit Ausbruch des Bürgerkriegs zusammenfiel. Ich war gerade in Beirut, wo wir am Ton arbeiteten, und plötzlich blieben nur noch drei Wochen Zeit für die Postproduktion. In Khartum war der Flughafen bombardiert worden, ein Teil des Teams sass fest, andere waren nach Ägypten oder Südsudan geflüchtet. Kurzum, ich bedaure meinen Entscheid, trotz allem nach Cannes zu fahren, keine Sekunde, aber was für ein Stress! Die Auswirkungen von Cannes werden einem erst im Nachhinein richtig bewusst. Wenn ich heute nach Dutzenden andern Festivals am FIFDH in Genf bin, dann ist das sicherlich noch eine Folge davon.

War es immer Ihre Absicht, die Teilung Sudans 2011 zu schildern?

Ja, denn das war ein einscheidender Moment für mich und für mein ganzes Land. Als 99 Prozent der Südsudaner:innen für die Abspaltung stimmten, begann ich, alles in Frage zu stellen. Ich bin ein reines Produkt der wohlhabenden arabischen Bourgeoisie des Nordens und merkte damals, dass ein gewisser Rassismus in mir verankert war. Alle Hausangestellten waren Schwarze aus dem Süden, und das war für mich ganz natürlich. Die Zeit zwischen 2005 und 2010, die der Film beschreibt, war eine verpasste Chance zur Versöhnung. Anstatt unsere Fehler einzugestehen, haben wir auf materielle Entschädigungen gepocht. Aber wenn man keine wirklichen Lehren zieht, ist die Rückkehr des Krieges unvermeidlich. All das hat weitreichende Wurzeln, die zweifellos bis zum Sklavenhandel zurückgehen und auf die spätere Bevorzugung der Araber im Norden wie auch die Christianisierung des Südens durch die Engländer vor der Unabhängigkeit 1955. Mit meinem Film versuche ich, über diese historischen Rechtfertigungen hinauszugehen und eine echte Selbstreflexion anzuregen.

Filmstill aus «Goodbye Julia»
Mona und Julia

Weshalb stellen Sie zwei Frauen, die Araberin Mona und die Schwarze Julia, in den Mittelpunkt der Geschichte?

Wahrscheinlich, weil ich Frauen bevorzuge... Ich habe mich in den letzten 15 Jahren sehr verändert, und Frauen haben mir dabei geholfen. Auch mein Leben im Ausland hat es mir ermöglicht, Abstand zu gewinnen, vor allem die Erfahrung, selbst Ziel von Rassismus zu sein. Als Ingenieur war ich einem sehr binären Denken zwischen richtig und falsch, schwarz und weiss verhaftet. Ich habe erfasst, dass es viele Grautöne gibt und die widerspiegelt der Film. Nicht nur in Bezug auf Rassismus, sondern auch in Bezug auf Ungerechtigkeiten, die mit der sozialen Schicht oder dem Geschlecht zu tun haben. Goodbye Julia tangiert all diese Themen und versucht, sie in einen harmonischen Fluss zu bringen. Die kleine Geschichte sollte die Probleme des ganzen Landes widerspiegeln.

Mona ist zu Beginn für einen Vorfall verantwortlich, mit der Zeit machen sich alle mehr oder weniger schuldig...

...weil sich die Realität so gestaltet. Als Konservativer, der sich zu einem fortschrittlicheren Menschen gewandelt hat, kann ich alle Sichtweisen verstehen. Niemand ist grundsätzlich schlecht. Ich sehe, wie sich das Publikum je nach Identität und vorhandenen Vorurteilen spontan mit der einen oder andern Figur identifiziert und die jeweils andere verurteilt, aber der Film möchte Verständnis und Empathie für alle wecken. Nach vielen Lügen und Unausgesprochenem läuft er auf eine heilsame Konfrontation hinaus. Meine Hoffnung ist, dass am Ende alle den Aufruf zur Notwendigkeit eines Dialogs gehört haben.

Der Trailer zum Film

Aber das Ende bleibt ein wenig zweideutig?

Ich wollte kein naives Happy End, bei dem alles gelöst scheint. Die Teilung des Landes kommt, aber bald herrscht im Südsudan auch ein Bürgerkrieg. Mona beginnt wieder zu singen, doch als kinderlose Frau wird sie es in der muslimischen Gesellschaft schwer haben. Der Reichtum des Nordens hat auch seine Risse, wie das Wasserleck im Haus andeutet. Der ganze Film enthält metaphorische Elemente, und so endet er auch, mit einem bittersüssen Ende.

Auch ohne Erfahrung sind die Mitspielenden alle überzeugend.

Das Casting war alles andere als einfach. Ich bin schliesslich über soziale Netzwerke auf Eiman Yousif (Mona), die in Cafés singt, und Siran Riak (Julia), die nach ihrer Zeit als Miss Südsudan als Model arbeitet, aufmerksam geworden. Sie mussten beide zuerst überzeugt werden. Nazar Goma (Akram, Monas Mann) ist hauptsächlich Fernsehregisseur. Wir haben im Vorfeld viel geprobt, meine Methode besteht vor allem darin, dass die Darstellenden ihre Charakter bis in ihr Innerstes verstehen. Der einzige Profi war Ger Duany (Julias Verehrer Ager), der in den USA lebt und drei Tage vor Drehbeginn ankam, ohne ein Wort Arabisch zu sprechen. Er hat eine tolle Leistung erbracht.

Die von Kunstschaffenden angeführte Revolution hat zu einer Neubewertung des Stellenwerts der Kunst im Sudan geführt.

Mohamed Kordofani

Wurde der Dreh beeinträchtigt durch die Unruhen?

Ich hoffe, dass es das Ergebnis nicht allzu sehr beeinflusst hat, aber ja, Ende 2021 hatte gerade der Militärputsch stattgefunden und es gab ständig Unruhen und Blockaden in den Strassen von Khartum. Zuerst drehten wir die Aussenaufnahmen, um sicher zu gehen, dass wir den Film auch wirklich fertigstellen konnten. Dann trafen sich alle an einem Ort für die Innenaufnahmen, von denen es glücklicherweise mehr gab. Am Ende war alles in 40 Tagen fertig. Ich bin dem ganzen Team unglaublich dankbar, dass sie an den Film geglaubt haben, obwohl einige von ihnen sicher lieber auf die Strasse gegangen wären, um die Revolution zu unterstützen.

portrait Mohamed Kordofani

Mohamed Kordofani:

Mohamed Kordofani ist ein sudanesischer Regisseur, Produzent und Drehbuchautor. Zu seinen Werken gehören der preisgekrönte Kurzfilm Nyerkuk (2016) und die Pro-Revolutions-Dokumentation A Tour in Love Republic (2020). Goodbye Julia ist sein Spielfilmdebüt und der erste Film aus dem Sudan, der in Can…

Weitere Artikel

Bild der Filmemacherin Kaouther Ben Hania
Interview

«Eine Geschichte von Frauen, von Müttern, von Töchtern»

Ein Gespräch mit der tunesischen Filmemacherin Kaouther Ben Hania.

Mehr lesen
Porträt der Filmemacherin Lila Avilés
Interview

«Der Film ist eine Hommage an die Liebe»

Ein Gespräch mit der Regisseurin Lila Avilés über ihren Film «Tótem».

Mehr lesen
Porträt der Filmemacherin Lkhagvadulam Purev-Ochir
Interview

«Mir ist es sehr wohl damit, modern und traditionell zu sein»

Ein Gespräch mit Lkhagvadulam Purev-Ochir über ihren Spielfilm «City of Wind».

Mehr lesen