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«In jedem von uns schlummert ein animalischer Teil»
Guan Hu über seine Inspiration zu «Black Dog», warum in seinen Filmen oft Tiere vorkommen und darüber, was ihn an Superstar Eddie Peng begeistert.
Wie kam es zur Geschichte von Black Dog?
Der Film ist das Resultat meiner personlichen Beobachtungen und ich spüre darin den Veränderungen der letzten zwanzig Jahre nach – mit ihren positiven und negativen Auswirkungen auf den Menschen. Da ich in China lebe, habe ich die enorme Entwicklung des Landes in den letzten Jahrzehnten miterlebt. Ich war schon immer neugierig darauf, wie das Leben der Menschen ausserhalb der grossen Städte und in den entlegeneren Regionen meines Landes in dieser rasanten Entwicklungsphase aussieht. Zwangsläufig gibt es Menschen, die dabei zurückgelassen oder verdrängt wurden. Was aber treibt sie als Einzelne an und hilft ihnen zu überleben? Meine Auseinandersetzung mit diesen Menschen hat mich zu diesem Film inspiriert.

Tierfiguren tauchen in Ihrem Werk immer wieder auf. Ein weisses Pferd in The 800, ein Strauss in Mr. Six, eine Kuh in Cow – dieses Mal ist es ein Hund.
In meinen Filmen kommen vor allem deshalb Tiere vor, weil ich glaube, dass in jedem von uns ein animalischer Teil schlummert. Dieser zeigt sich gerne, wenn wir Mut beweisen oder Autoritäten herausfordern müssen. Mit zunehmendem Alter lassen wir diese ursprüngliche Veranlagung jedoch allzu oft einschlafen, was ich für sehr bedauerlich halte.

Die Figur des Lang wurde von der Gesellschaft an den Rand gedrängt. Ebenso der Hund, den er trifft. Beide wurden ausgesetzt. Kann man sagen, dass sie Spiegelbild des jeweils anderen sind?
Sie sind zwei einsame, verlassene Seelen, die sich entscheiden, einander Halt zu geben. Es gibt eine alte chinesische Legende, die die Geschichte der Gottheit Erlang erzählt. In Anlehnung daran habe ich meinen Helden Lang genannt. Erlang wird oft mit einem mageren Jagdhund an seiner Seite dargestellt, der seine Einsamkeit auf seinen Streifzügen durch den Himmel lindert.
Anmerkung: Erlang ist eine Gottheit in der chinesischen Mythologie, die ein drittes, die Wahrheit sehendes Auge auf der Stirn trägt. Erlang wird oft als junger Mann mit Hund dargestellt und mit Volkshelden in Verbindung gebracht, die die Bevölkerung während der Qin-, Sui- und Jin-Dynastie vor Überschwemmungen schützten.

Es gibt nur wenige weibliche Charaktere im Film. Mit Ausnahme von Grape, gespielt von Liya Tong, die grossen Einfluss auf Lang hat. Eine Nebenrolle, aber eine wichtige...
Weibliche Rollen sind in meinen Filmen sehr wichtig und widerspiegeln oft die Resilienz und Reife, die ich in meinem eigenen Leben suche. Wie Grape das Leben betrachtet, ist äusserst erwachsen und reflektiert. Sie hat auf Lang den Einfluss einer älteren Schwester. Sie ist sehr entschlossen, was ihre Zukunft angeht. Doch diese Art von bereits vorgezeichnetem Leben ist nicht das, was Lang zu diesem Zeitpunkt seines Lebens braucht.

Können Sie uns etwas über die Dreharbeiten verraten?
Im Film kommen viele Tiere vor: Hunde, Tiger, Wolfe und so weiter. Die Drehs mit den Tieren sollten in aller Ruhe stattfinden. Das brauchte viel Geduld! Es gab zum Beispiel eine Szene, in welcher der Tiger Lang zeigen sollte, wo sich der schwarze Hund versteckt. Das schien natürlich ein Ding der Unmoglichkeit zu sein. Aber gerade als uns die Ideen für die Umsetzung ausgingen, stand der Mandschurische Tiger von selbst auf und knurrte leise in die Richtung, in der sich der Hund versteckt hatte. Eddie Peng, der Lang spielt, schaute im selben Moment in die gleiche Richtung und entdeckte den Hund. Ein Erfolg, der meine Erwartungen übertraf. Natürlich konnten wir mit den Tieren nicht über die Sprache kommunizieren, aber ich hatte das Gefühl, dass sie anfingen, uns zu verstehen.
Warum haben Sie Eddie Peng für die Rolle des Lang ausgewählt?
Aus einem ganz einfachen Grund: Er hat diese animalische Naivität, die ich für die Rolle suchte. Das ist etwas, das man nicht jeden Tag findet. Die Schauspieler im Film sind Profis, die einem breiten Publikum bekannt sind. Aber da der Film in der Wüste Gobi und den weiten Landschaften Westchinas spielt, wollten wir, dass sie mit der Umgebung verschmelzen. Für Eddie Peng war dies eine besondere Herausforderung, denn er hat eine Ausbildung als Turner, ist gross, gut aussehend und hat einen ausgeprägten Sinn für Mode. Um ihn der Figur näher werden zu lassen, mussten wir seinen Korperbau, seinen Hautton und seine Gesichtszüge verändern und ihm die urbane Ausstrahlung nehmen, die ihm eigen ist. Gleichzeitig wollten wir auf subtile Weise dieses Verlangen und die Würde in ihm zum Vorschein bringen, die er nur schwer unterdrücken kann. Das Ergebnis konnen Sie sich im Film ansehen.

Es gibt eine sehr einprägsame Szene in Black Dog, in der alle Menschen ihre Arbeit unterbrechen, um auf einem Hügel eine Sonnenfinsternis zu beobachten. Welche Bedeutung hat diese Szene?
Tatsächlich ereignete sich 2008 im Nordwesten Chinas eine Sonnenfinsternis. Dies wurde damals als gutes Omen im Vorfeld der Olympischen Spiele angesehen. Ich wollte, dass auch in meinem Film Sonne und Mond gemeinsam leuchten. Dass Himmel und Erde eins werden. Als Ausdruck für die Veränderungen, die in Lang vor sich gehen. Er soll sie annehmen und ins Aussen kehren, wieder auf eigenen Füssen stehen. Zur gleichen Zeit brechen die Tiere aus dem Zoo aus und streifen durch die verwahrloste Stadt. Die Sonnenfinsternis schafft für sie eine Art temporäre Freiheit ohne jegliche menschliche Einmischung. Ich sehe dies als die Verwirklichung von Langs Traum.

Wie sind Sie Filmemacher geworden?
Meine beiden Eltern waren beide Schauspieler. Ich bin quasi auf dem Filmset gross geworden. Dort wo meine Eltern arbeiteten, wurden regelmässig Filme gezeigt. Doch die Eintrittskarten waren schwer zu bekommen und so bastelten wir Kinder unsere eigenen gefälschten Tickets, um ins Kino zu gelangen und all die Filme zu sehen, die unsere Generation bis dahin nicht hatte sehen konnen... Diese Erfahrung war wahrscheinlich das, was mich am meisten beeinflusst und motiviert hat. Es ist der Sauerstoff, der mein kreatives Wachstum nährt.

In seinem Roman «On the Road» schreibt der US-amerikanische Schriftsteller Jack Kerouac, dass die Menschen sich nach der Strasse sehnen, weil sie jung sind. Was motiviert Lang, sich auf den Weg zu machen, wieder aufzubrechen?
Der Lauf der Dinge und das immerwährende Bedürfnis treiben den noch jungen Lang an, seine eigene Würde als Mensch zu finden. Ein routiniertes, eintoniges Leben erdrückt ihn, so dass er wieder aufstehen und sich auf eine neue Reise begeben muss, bevor es ihn erstickt. Ich erinnere mich an Jack Kerouacs Worte: «Wir müssen gehen, und wir dürfen nie aufhören zu gehen, bis wir am Ziel sind.»


Guan Hu:
Guan Hu, geboren 1968 in Peking, gilt nicht nur als einer der einflussreichsten Filmregisseure und Drehbuchautoren des zeitgenössischen chinesischen Kinos sondern auch als einer der selbstbewusstesten. Er hat einen Abschluss der Filmakademie Peking und gehört wie Jia Zhang-ke zur sogenannten «Sechs…

Black Dog
Artikel veröffentlicht: 1. April 2025
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