Todas las azafatas van al cielo
Teresa (Ingrid Rubio) und Julián (Alfredo Casero) sind zwei Menschen aus Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires. Sie lebt als Stewardess vorwiegend aus Koffern und über den Wolken, wo sie mit pantomimischen Einlagen die desinteressierten Fluggäste auf die üblichen Sicherheitsvorkehrungen hinweist und von einem Ort zum anderen jettet, ohne am Boden richtig Fuss zu fassen. Er ist ein erfolgreicher Augenarzt, der den Leuten dann helfen kann, wenn sie die Dinge nicht mehr klar sehen. Jetzt sieht Julián selber nicht mehr durch und ist traurig, denn seine Frau ist jung verstorben, und er macht sich auf, ihre Asche in Ushuaia, am südlichsten Zipfel des lateinamerikanischen Kontinents, ins Meer zu streuen, so eben, wie sie sich das gewünscht hatte. Teresa wiederum hat eine unglückliche Liebschaft hinter sich, befürchtet, bei ihrer jüngsten Landung schwanger geworden zu sein.
Teresa und Julián verbindet wenig mehr als dass sie beide des Lebens müde sind und sich überraschend beim Versuch finden, im Schnee zu erfrieren. Sie haben diese Variante des sanften Unterkühlens in einer jener dämlichen Reportagen gesehen, die uns über Fernsehkanäle tagtäglich und gleich vielfach ins Haus strahlen. Und sie meinen es zumindest im Ansatz ernst, finden sich wärmend und zufällig wieder und erst noch zusammen. Kann dies der Anfang einer wunderschönen Freundschaft sein, oder müssen noch Hürden genommen werden, bis es geht? Es gibt in Daniel Burmans Filmen - sein letzter hiess «Esperando al Mesias» und hat international auf den jungen Regisseur aufmerksam gemacht - immer Figuren, die in der Handlung auftauchen und nicht hundertprozentig von dieser Welt zu sein scheinen und damit die Erzählung mit einem besonders schrägen Charme aufbrechen. Eine davon ist in «Todas las azafatas van al cielo» jener Taxifahrer, der die Berufe seiner Gäste erraten kann und dann auf sie einplaudert, als wäre er seit fünf Monaten ohne Gesprächspartner auf einer einsamen Insel zurückgelassen worden. Eine andere; und sie ist umwerfend, weil sie von einer anderen Ebene des Daseins kündet; ist der Vater jenes Mädchens, das neben der Hauptfigur Julián im Flug von Buenos Aires nach Ushuaia sitzt und ans Fenster möchte. Draussen auf dem Flughhafen arbeitet ihr Vater, erklärt sie selbstsicher dem dicklichen Nachbarn, und tatsächlich winkt da ein gut eingemummter Mann mit seinen Kellen das Flugzeug auf seinen Standplatz.
Lilis Vater arbeitet auf dem Flughafen von Ushuaia, aber er ist auch und in erster Linie ein Träumer und Bastler. Von jedem Flugzeug, das hier in der südlichsten Stadt der Welt landet, entwendet er ein Bestandteil, und aus den über die Jahre hinweg zusammengeklauten Teilen konstruiert er sich seinen eigenen Flieger, ein knallrotes Prachtstück, das kurz vor dem Jungfernflug steht. Sogar der Concorde, die einmal in Ushuaia zu Besuch war, konnte er ein Teil entnehmen. Diese Vaterfigur schafft ein Stück der Poesie des Films, in dem Burman die schwebende Leichtigkeit des Seins liebevoll betrachtet.
Eines ist in der melancholischen Liebesgeschichte klar: Alle wollen sie abheben, die Figuren, auch wenn sie haften und stecken bleiben im Schnee. Der Vater mit dem Flugtraum erinnert als Figur an den Andenflieger Saint Exupéry und schafft spielend die Verbindung aus der Handlung heraus ins Übersinnliche. Schliesslich gehört er zu den Widerstandsfähigen am Ort. Er ist es auch, der sich engagiert gegen Ungerechtigkeiten, aber das ist eine andere Geschichte, eine, die Burman so schön einfädelt, dass er die LacherInnen im Kino auf seiner Seite hat. Teresa und Julián, die beiden zentralen Figuren in «Todas las azafatas van al cielo», dem Film mit dem schönsten Titel des Jahres, haben ihre Erdung verloren. Sie schwebt durch die Lüfte, ist ungewollt schwanger und gedankenlos des Lebns müde. Er hat mit einer Stewardess zusammen gelebt und ist nach deren krankheitsbedingtem Tod allein wie ein trauriger Braunbär, der seinen Anschluss verloren hat. Ausgerechnet in Ushuaia, wo man nie so sicher ist, ob man da am Anfang oder am Ende der Welt steht, begegnen sich die beiden, und sie tun dies ausgerechnet in dem Moment wirklich, als sie sich entschlossen haben, aus dem Leben auszusteigen. Es ist als würde Daniel Burman sich von diesen unterkühlten Rändern her zur Wärme des Zusammenseins zurücktasten.
Walter Ruggle