Tokyo Family
Ein altes Paar, das auf einer Insel in der Gegend von Hiroshima lebt, reist zu seinen erwachsenen Kindern nach Toyko. Vielbeschäftigt, haben diese kaum Zeit für ihre Eltern und offerieren ihnen einen Aufenthalt im Hotel am Meer. Yasujiro Ozu hat diese Geschichte vor 60 Jahren in Reise nach Tokyo unvergesslich erzählt, sein damaliger Mitarbeiter Yoji Yamada greift sie neu auf und versetzt sie ins Japan nach dem Tsunami: Eine feinsinnige Hommage.
Von Eltern und von Kindern
Die britische Zeitschrift «Sight & Sound» fragt seit Jahrzehnten alle fünf Jahre weltweit Filmschaffende, welches die zehn wichtigsten Filme überhaupt seien. Die Mehrheit der rund 200 Regisseurinnen und Regisseure haben in der jüngsten Umfrage Tokyo monogatari von Yasujiro Ozu zum besten Film erhoben; auf den ersten Plätzen figurierte der Film schon immer, denn der Japaner war und ist mit seinem konzentrierten Erzählstil ein grosses Vorbild fürs Kino.
Jetzt hat der 1931 geborene Yoji Yamada, der selber als Neuling im Produktionshaus Shochiku die Dreharbeiten von Reise nach Tokyo erlebt hatte und inzwischen an die 100 Filme realisierte, seinem Meister Ozu eine Hommage gewidmet und die Erzählung vom alten Paar, das die vielbeschäftigten Kinder in der Grossstadt besucht, in die heutige Zeit versetzt. Dabei konnte er seinen eigenen Themen der Liebe und Hingabe, wie wir sie aus Filmen wie Twilight Samurai oder Love and Honor kennen, treu bleiben.
Yoji Yamada weiss natürlich, dass man Ozus Meisterwerk nicht besser machen kann, aber er will die Handlung aus der heutigen Zeit heraus erzählen. Vieles ist sich gleich geblieben in der Gesellschaft, die Zeit des Einzelnen ist noch knapper geworden, die Hektik in der Arbeitswelt grösser. Geblieben ist auch das Kleinräumige, das unser Leben letztlich prägt. Interessant sind denn auch die leisen Veränderungen im Alltag, spannend und durchaus auflockernd wirkt die wichtigste: Yamada führt eine neue Figur ein beziehungsweise lässt eine abwesende Figur leben. War Shuji, der jüngste Sohn des alten Paares, 1953 bei Ozu im Weltkrieg umgekommen und hatte mit seiner Geliebten Noriko jene berührende Figur hinterlassen, die sich als einzige um die Grosseltern kümmert, so lebt der junge Mann bei Yamada und spielt eine gewichtige Rolle. Ja, er gibt dem Film mit seiner Verspieltheit sogar einen leicht veränderten Touch und schafft Bezug auf einen anderen Kontext, den das Land 2013 am Verarbeiten ist. Kennengelernt hat Shuji seine Freundin beim Hilfseinsatz nach dem Tsunami im Norden; die Naturkatastrophe hat zusammen mit dem Atom-Gau im Hintergrund im neuen Film also die Rolle des Krieges übernommen. So kleinräumig unser Alltag sich abspielen mag, so überschaubar das Leben für die meisten ist: alle bleiben den grösseren Zusammenhängen ausgesetzt und müssen im Kleinen auch damit umgehen.
Wie eben erst Hirokazu Kore-eda mit seinem einfühlsamen Like Father, Like Son, betrachtet auch Yoji Yamada in Tokyo Family den Kern einer jeden Gesellschaft: Die Familie, das Eltern- und das Kindsein, das Kommen und Gehen im Fliessen der Zeit. Es lohnt sich manchmal doch, eine starke Geschichte in einer anderen Zeit noch einmal zu erzählen, und Ozus Film bleibt das Wunder, das er war.
Walter Ruggle
Festivals & Auszeichnungen
Goldener Ehrenbär, Berlinale 2013
Credits
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Pressestimmen
«Der Regisseur Yoji Yamada hat eine Hommage an den Klassiker «Tokyo Story» gewagt. Keine leichte Aufgabe: Das Familiendrama gilt als einer der besten Filme aller Zeiten. Die Adaption ins heutige Tokyo ist ihm grandios gelungen. Die Eltern der gestressten Business-Kinder tun einem leid wie eh und je. - «Tokyo Family» ist «Tokyo Story» mit frischem Gesicht, Hochgeschwindigkeitszügen und Mobiltelefonen – und der Innenwelt einer Familie, die auch nach 50 Jahren immer noch brauchbar wahr und verzaubernd gültig ist.» Naomi Gregoris, Radio SRF
«Ewiger Mikrokosmos Familie - hautnah.» Programmzeitung, Alfred Schlienger
«Hommage an den japanischen Regisseur Yasujiro Ozu: Der Filmer Yoji Yamada setzte das Meisterwerk «Tokyo Monogatari» von 1953 neu um. Ein Remake, das frische Akzente setzt.» Urs Hangartner, Kulturtipp
«Könnte schiefgehen, gedeiht aber prächtig: Yoji Yamadas 'Remake' - tatsächlich ist es eher eine Huldigung - von Yasujiro Ozus Meisterwerk Tokyo Monogatari.» Züritipp, Pascale Blum
«Zutiefst ergreifend ist zuletzt nicht das unvermittelte, rasche Sterben der Mutter, sondern die Meisterschaft, mit der der achtzigjährige Regisseur zuvor die letzten bewussten Momente dieses Lebens als Erfüllung und Vollendung zu gestalten versteht.» Christoph Egger, Neue Zürcher Zeitung
«In «Tokyo Family» hat man das Gefühl, dem Leben mit all seiner Schönheit und Tragik hautnah gegenüber zu stehen, ihm zu begegnen. Yamada sagt mit seinem Remake, dass sich im Wesentlichen nichts geändert hat. Wo ein Herz sein sollte, ist weiter Höflichkeit, wo Fürsorglichkeit vorgespielt wird, dominiert der Egoismus, wo die Etikette zelebriert wird, entsteht Entfremdung. Mutter Tomiko und Freundin Noriko brechen als Erste in voller menschlicher Grösse die unmenschlichen Normen.» Der andere Film, Hanspeter Stalder
«Was den Film zum Ereignis macht, ist die Art, wie unangestrengt er all die Anstrengungen und Verrenkungen, die Verlegenheiten, Förmlichkieten und Verwischungsversuche einfängt.» Programmzeitung, Alfred Schlienger
«So dreht Yamada einen Klassiker noch einmal. Nicht besser, das wäre schwierig, aber heutiger. (...) Die Bildsprache ist ganz allgemein lockerer, und die Heiterkeit hat ihren Platz neben dem Gefühl.» Pascal Blum, Tages-Anzeiger
«Yamada verzichetet auf Effekte, lässt dem Geschehen seinen natürlichen Rhythmus und rückt die SchauspielerInnen in den Fokus der klug gefürhten Kamera.» Cineman, Eduard Ulrich
«Wie im Original erhält man auch hier Einblicke in die normalerweise gut abgeschotteten Privatsphären von japanischen Haushalten. Der Hintergrund der Geschichte ist derselbe geblieben, aber das Leben ein komplett anderes. Und Fukushima ist passiert.» WoZ, Fredi Bosshard
«Das feinfühlige Familiendrama «Tokyo Family» von Yoji Yamada ist eine Hommage an seinen Lehrmeister Yasujiro Ozu, der mit seinem Film «Reise nach Tokio/Tokyo Story» (1953), ein Meisterwerk des japanischen Kinos schuf. Yamada erzählt eine verwandte Geschichte und verpflanzt das familiäre Drama ins heutige Tokio, ohne es filmisch zu «modernisieren» und in irgendwelchem Aktionismus zu verfallen. So entstand ganz im Sinne Ozus ein zeitloses intimes Beziehungsstück, das wunderbar quer in der Kinolandschaft steht. Es nimmt sich Zeit für seine Figuren, für ihre kleinen Schwächen und Gefühle. Bilder und Mimen sprechen für sich. Dass es am Ende mehr eine Liebesgeschichte denn ein Drama ist, stellt Yanadas Hommage ein meisterhaftes Zeugnis aus.»
Literatur und Kunst