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3 Fragen an Astrid Rondero & Fernanda Valadez
Die beiden mexikanischen Filmemacherinnen Astrid Rondero und Fernanda Valadez über ihr jüngstes Werk «Hijo de Sicario».
Wer ist euer Protagonist Sujo? Wen repräsentiert er in der heutigen mexikanischen Gesellschaft?
Sujo gab uns die Gelegenheit, uns über das Leben und das Schicksal Tausender Waisenkinder ein Bild zu machen, die in Mexiko unter den Folgen der Drogengewalt leiden. Das Phänomen der Drogenwaisen wurde bisher so wenig systematisch untersucht, dass die Zahlen stark schwanken. UNICEF schätzt jedoch eine beunruhigende Zahl: 1,6 Millionen Kinder in unserem Land. Viele von ihnen sind inzwischen erwachsen, und fast zwei Jahrzehnte, nachdem in Mexiko der «Krieg» gegen den Drogenhandel ausgerufen wurde, gibt es eine Generation junger Menschen, die in dieser Realität geboren und aufgewachsen sind. Wir hatten viele Fragen, die uns dazu brachten, zu recherchieren und zu schreiben: Gibt es in Mexiko (und der Welt) Platz für junge Menschen, die in einem Umfeld der Gewalt geboren oder aufgewachsen sind? Wird ihr Leben durch ihre Herkunft bestimmt? Sollten wir die Opfer unterscheiden? Sind nicht auch die Kinder der Täter Opfer?
Die Herausforderung dieses Films bestand darin, über diese Fragen anhand des Aufwachsens einer Figur zu sprechen: Sujo. Vor allem aus der Literatur wissen wir, dass Geschichten von Waisenkindern es uns ermöglichen, über erschütternde Zeiten zu sprechen und unser menschliches Befinden von einem Ort der Empathie aus zu betrachten. Mehr als eine Antwort, ist es eine Frage. Der Zuschauer wird am Ende entscheiden, ob ein Junge wie Sujo sein Leben ändern kann oder nicht.
Wie steht es aktuell um die Situation des Drogenhandels in Mexiko und wie wirkt sich dies auf die Kinder des Landes aus?
Unser vorheriger Film Sin señas particulares befasst sich mit einem Thema, das unserer Meinung nach eine Schlüsselrolle in dieser Krise spielt: die Zwangsrekrutierung. Mit Hijo de Sicario haben wir dieses Thema ein wenig näher beleuchtet. Wir glauben, dass das organisierte Verbrechen die Verletzlichkeit bestimmter Sektoren ausnützt, um sie als Teil dieser Kriegsmaschinerie, als Wegwerfartikel zu missbrauchen.
Im Zuge der Recherchen konnten wir mit Jugendlichen aus ländlichen Gemeinden sprechen und verstanden, dass die Rekrutierung immer ein wenig erzwungen ist, denn meistens waren die Jugendlichen, die sich der organisierten Kriminalität anschliessen, verletzlich, lebten am Rande der Gesellschaft und in einer Welt, in der die einzig mögliche Gerechtigkeit durch Geld gewährt wird. Viele von ihnen werden nicht älter als 30 Jahre. Der Drogenhandel bietet ihnen eine Vision: die der Gemeinschaft, die der Arbeit und natürlich die von Macht und Geld.
Die Konstruktion dieser Fata Morgana hat sich in der Kultur verankert. Der Erfolg und die internationale Ver-breitung der Musikgenres «Narcocorridos» und «Corridos Tumbados» sind ein gutes Beispiel für einen Kampf, den die mexikanische Gesellschaft verloren zu haben scheint.
In Hijo de Sicario stellen die Frauen die Personen dar, die Sujo am meisten unterstützen. Warum?
In Mexiko scheint es zwei Realitäten zu geben. Die eine ist das Mexiko des Drogenhandels. Und das andere ist das kosmopolitische Mexiko der grossen Hoffnungen. Die Frauen in diesem Film sind Teil dieses zweiten Mexi-kos, das nicht nur möglich ist, sondern auch existiert. Das wichtigste Beispiel sind für uns die «buscadoras»: Gruppen von Müttern, die nach ihren verschwundenen Kindern suchen, manche wurden Opfer von Gewalt, andere sind aber auch verschwundene Täter, viele mit eigenen Kindern und alle mit Familien, die nach ihnen suchen. Diese Kollektive bilden die Grundlage für einen Friedensprozess. Sie repräsentieren die Zivilgesellschaft, die die Verantwortung für den gescheiterten Staat Mexiko übernimmt.
Sujo ist die erste männliche Figur, die wir als Protagonist entworfen haben. Und wir konnten ihn uns nur durch die Frauen vorstellen, die ihn umgeben, weil es die Frauen in unseren Gesellschaften sind, die an der Spitze des Widerstands gegen Gewalt stehen.
Astrid Rondero:
Astrid Rondero (*1989) ist eine mexikanische Filmregisseurin, Produzentin und Drehbuchautorin. Mit dem Kurzfilm In Still Waters (2011) erlangte sie ihren Abschluss am Centro Universitario de Estudios Cinematográficos in Mexiko-Stadt und feierte erste Erfolge.
Mit Fernanda Valadez verbindet sie eine…
Fernanda Valadez:
Die Regisseurin und Produzentin Fernanda Valadez wurde 1981 in Guanajuato in Mexiko geboren. Ursprünglich studierte sie Philosophie und Lateinamerikastudien, stellte dann aber fest, dass sie sich nicht über Konzepte ausdrücken, sondern Emotionen durch Geschichtenerzählen näher kommen wollte. Schrif…
Hijo de Sicario
Artikel veröffentlicht: 16. September 2024
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