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Filmbesprechung

Glücksagent sucht Liebe

Amber und Guna reisen als Glücksagenten durch Bhutan, wo das Messen des individuellen Glücks zur Staatsaufgabe gehört. Mit Fragebogen und offenem Ohr entdecken sie bewegende Geschichten – eine inspirierende Reise voller Humor und Tiefe.

Wie kann man Glück messen? Das Land Bhutan hat das Bruttonationalglück erfunden, um genau das zu tun. Amber ist einer der Agenten, die alle fünf Jahre von Haus zu Haus ziehen, sich mit den Menschen unterhalten und mittels Fragebogen erfassen, wie glücklich sie sind. Mit seinen 40 Jahren lebt er immer noch bei seiner alten Mutter, ist aber dennoch ein hoffnungsloser Romantiker, der davon träumt, die grosse Liebe zu finden. Ein Glücksagent auf der Suche nach seinem eigenen Glück – eine durchaus glückliche Fügung für das Regiepaar, das in Agent of Happiness zeigen wollte, wie der einzigartige Index funktioniert und ob Glück überhaupt messbar ist.

Innen- und Aussensicht

Dorottya Zurbó und Arun Bhattarai lernten sich am DocNomads Masterprogramm kennen und legen nach The Next Guardian ihr zweites gemeinsames Projekt vor: «Der multikulturelle Dialog zwischen uns hat nicht nur unser Interesse am Dokumentarfilm gestärkt, sondern ermutigte uns zu verstehen, woher wir kommen und wie wir von den unterschiedlichen Perspektiven des anderen in künstlerischen Arbeiten profitieren können», kommentieren sie ihre Zusammenarbeit. Wie viele Aussenstehende war die Europäerin von der Idee des Bruttonationalglücks (BNG) angetan, während Arun Bhattarai, der in Bhutan lebt, aus der Innenperspektive eine zwiespältigere Sicht darauf hatte.

Filmstill «Agent of Happiness»

Zwei Glücksagenten «on the road»

Mit Amber und Guna fanden sie zwei Glücksagenten, die im Auftrag des Staates umherreisen und ihren Landsleuten auf den Zahn fühlen. Sie begleiten sie mit der Kamera durch die dünn besiedelte Weite und treffen auf Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, die ihrem individuellen Schicksal mit bemerkenswerter Offenheit, Zuversicht und leisem Humor begegnen. Es scheint, als würde die schiere Tatsache, dass man psychische Zufriedenheit auf staatlicher Ebene überhaupt mitdiskutiert, ein befreiendes Bewusstsein schaffen.

Im Auftrag seiner Majestät

Das erste Mal fiel der Begriff des Bruttonationalglücks (BNG) anlässlich eines Interviews in den 70er Jahren. Befragt nach der wirtschaftlichen Prosperität des Landes, improvisierte der damalige König Jigme Singye Wangchuck aus dem Stegreif: «In Bhutan zählt das Bruttonationalglück mehr als das Bruttoinlandsprodukt», und bezeichnete damit die Idee einer Wirtschaftsentwicklung, die Bhutans Kultur und ihren buddhistischen Werten gerecht wird. Ende 90er Jahre wurde es in einem Vier-Säulen-Prinzip offiziell als Staatsaufgabe festgehalten.

Kann die Regierung kein Glück
für ihr Volk schaffen, gibt es
keinen Grund für ihre Existenz.

Rechtskodex Bhutan, 17. Jh.

Filmstill «Agent of Happiness»

Komplexer Fragebogen – ungezwungene Gespräche

Amber und Guna fallen nicht mit der Tür ins Haus, wenn sie mit ihren Fragebogen bei ihren Landsleuten anklopfen. Sie kommen locker ins Gespräch mit den Menschen, nehmen sich Zeit, fragen nach und zeigen Mitgefühl. Wie viele Kühe besitzen Sie? Waren Sie in den letzten Wochen mal wütend? Was macht Sie wütend? Sind Sie schwermütig? Was denken Sie, wie glücklich sind Sie auf einer Skala von Null bis Zehn? Das wirkt einfacher, als es ist: Die Fragen folgen einer durchdachten Struktur und zielen auf mehrere Lebensbereiche ab, vom psychischen Wohlbefinden über die Gesundheit bis zu kultureller Vielfalt und Zugehörigkeitsgefühl. Die Auswertung erfolgt nach einer komplexen Formel, bei der subjektive und objektive Indikatoren unterschiedlich gewichtet und gewisse Schwellen eingebaut werden.

Filmstill «Agent of Happiness»

Authentischer Einblick in die Berggemeinschaft

Den Rhythmus der Umfrage spiegelt das Regieduo visuell in einem attraktiven Rahmen, der das jeweilige Ergebnis schlank und witzig zusammenfasst und Raum schafft für tiefergehende Begegnungen. Nachdem die Glücksagenten schon weitergezogen sind, bleiben die beiden noch einen Moment bei den Menschen. Die Kamera hat nun die Befrager ersetzt, fängt Alltagsszenen in der Umgebung der Interviewten ein, ist bei Gesprächen zwischen Familienmitgliedern dabei, schaut ihnen zuweilen beim Denken zu.

Glücksagent mit Dating-App

Mehr und mehr geraten auch die Agenten ins Visier der Kamera. Dass Amber, der Glücksagent, noch auf der Suche nach seinem persönlichen Optimum ist, flicht eine reizvolle Ebene und einen parallelen Erzählstrang ein, der so elegant und stimmig in die Geschichte eingewebt ist, dass man sich zuweilen in einem Spielfilm mit Drehbuch wähnt. Er kümmert sich liebevoll um seine Mutter, fühlt sich aber ohne Lebenspartnerin unvollkommen und einsam. Auf einer Dating-App wird er fündig. Wir sind bei den ersten Treffen dabei und plötzlich klafft da eine Wunde auf, die zeigt, dass es noch blinde Flecken gibt im Staate Bhutan. Als Angehöriger einer ethnischen Minderheit besitzt Amber keine Staatsbürgerschaft, was bei der Suche nach einer Partnerin generell und bei dieser hoffnungsvollen Annäherung speziell ins Gewicht fällt.

«Glück kommt aus dem Herzen.» Amber

Wenn Amber auf dem Beifahrersitz zu Radio-Klängen ein paar Strings auf Luftgitarre zupft, ist das ein Moment des Glücks. Eine schwebende Leichtigkeit zieht sich durch den Film, der in Nahaufnahmen die Gefühle der Menschen und in weiten Panoramen die Schönheit der Landschaft einfängt. Von der entwaffnenden Ehrlichkeit, der frappierend einfachen Logik und dem feinen Humor der Menschen können wir uns ein Stück abschneiden. Man glaubt die Charaktere aus Pawo Choyning Dorjis erfolgreichem Spielfilm The Monk and the Gun wiederzuerkennen, ihre Liebenswürdigkeit, ihren Schalk, ihre feinsinnige List.

Filmstill «Agent of Happiness»

Bhutan fasziniert die Welt

Bhutan macht vieles richtig und fasziniert die Welt. Es gilt als einziges klimaneutrales Land auf Erden, fördert nachhaltigen Tourismus, pflanzt gemäss Verfassungsauftrag Tausende von Bäumen und will bis 2030 abfallfrei sein. Internationale Aufmerksamkeit erlangte das buddhistische Königreich nach seiner späten Öffnung für dieses politisch-philosophisches Konzept, das die Zufriedenheit seiner Bevölkerung über den wirtschaftlichen Fortschritt stellt. Das hehre Ziel mag auf dem überschaubaren und in vieler Hinsicht speziellen Flecken Erde einfacher umzusetzen sein als anderswo, fordert aber auch seinen Tribut. Das materielle Wohlergehen ist bescheiden und viele junge Menschen wandern aus, weil es nicht genügend Jobs gibt. Es bleibt ein Balanceakt.

Filmstill «Agent of Happiness»

Dem Glück auf der Spur

Das Streben nach Glück gehört zum Menschsein wie der Atem zum Leben. Glück haben oder glücklich sein: beides ist ewig gewünscht und nur episodisch gegeben, ebenso universell wie individuell. Was bedeutet Glück für den Patriarchen, der in allen Kategorien eine Zehn einspeist, was für seine drei Frauen, die von ihm finanziell abhängig sind? Lebensumstände, kultureller Hintergrund und persönliche Werte sind entscheidend und die buddhistische Grundhaltung schwingt hier selbstverständlich mit. So sagt etwa eine Befragte: «Egal, welchen Schmerz man in sich trägt, man muss lernen, glücklich zu sein.» Die innere Einstellung ist alles. Agent of Happiness ist eine Einladung, darüber zu sinnieren, was uns wirklich glücklich macht.

Filmstill «Agent of Happiness»

Egal, welchen Schmerz man
in sich trägt, man muss lernen,
glücklich zu sein.

Zitat aus dem Film

portrait Arun Bhattarai

Arun Bhattarai:

Arun Bhattarai (*1985) ist ein Regisseur, Kameramann und Produzent aus Bhutan. Sein erste abendfüllender Dokumentarfilm The Next Guardian (Co-Regie mit Dorottya Zurbó) – eine intime Familiengeschichte, die in Bhutan spielt – wurde 2017 an der IDFA uraufgeführt. Der Film lief bei mehr als 40 interna…

portrait Dorottya Zurbó

Dorottya Zurbó:

Dorottya Zurbó (*1988) ist eine ungarische Regisseurin. Ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm The Next Guardian (Co-Regie mit Arun Bhattarai) – eine intime Familiengeschichte, die in Bhutan spielt – wurde 2017 an der IDFA uraufgeführt. Der Film lief bei mehr als 40 internationalen Festivals im P…

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