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Pink Floyd in der Wüste Gobi
Ein Neo-Western von rauer Schönheit: Regisseur Guan Hu erzählt mit leiser Ironie und grosser Bildkraft von einem Antihelden in der Wüste Gobi. Ausgezeichnet mit dem Hauptpreis der Jury in der Reihe Un Certain Regard in Cannes.
Irgendwo in der Wüste Gobi: Ein Bus fährt durch die raue Landschaft, Staub wirbelt auf, der Wind peitscht durch die Ebene. Plötzlich stürmt ein Rudel wilder Hunde den Hügel hinab und auf die Strasse, auf der sich der Bus nähert. Dieser schwenkt aus, kippt und kommt schliesslich zum Liegen. Die Mitfahrenden bleiben unversehrt, heraus tritt Lang Yonghui, der früher als Rockmusiker und mit Motocross-Stunts lokale Berühmtheit erlangt hatte. Er kehrt nach zehn Jahren Gefängnis in seine Heimatstadt Chixia zurück. Doch die Provinzstadt hat sich während seiner Abwesenheit verändert: Viele Gebäude stehen leer, wilde Hunde streunen durch die verlassenen Strassen, die Angst vor der Tollwut macht die Runde. Vom Wohlstand, den der Kohlebergbau einst in das Städtchen gebracht hat, ist nicht mehr viel zu sehen.

Auf Hundepatrouille
Wir schreiben das Jahr 2008, die Olympischen Sommerspiele in Beijing stehen vor der Tür sowie eine Sonnenfinsternis, wie es sie nur alle dreissig Jahre zu sehen gibt. Um sich auf den sportlichen Grossanlass vorzubereiten, beschliessen die Behörden, gegen die wachsende Zahl der herrenlosen Tiere vorzugehen. Der Restaurantbesitzer und der Korruption nicht abgeneigte Gangleader Yao (gespielt vom bekannten Autorenfilmer Jia Zhangke) organisiert eine Hundepatrouille, welche die Streuner allesamt einfangen soll. Yao lädt auch den wortkargen Lang ein, dabei mitzutun, als Teil von dessen Rehabilitation und Reintegration in die Gemeinschaft. Als Lang dem besonders gefürchteten schwarzen Hund begegnet, auf den die Behörden ein Kopfgeld ausgesetzt haben, entspinnt sich zwischen den beiden Aussenseitern eine feine Freundschaft. Und wenn Hund und Mann hier an einer Hausecke mehrmals dasselbe Revier markieren, demonstrieren nicht nur sie ihre Sturheit, sondern Guan Hu auch den lakonischen Humor, der sich in vielen skurrilen Details durch den Film ziehen wird. Die zwei Eigenbrötler sind beide auf ihre Art von der Gesellschaft verstossen und finden im anderen einen treuen Gefährten.
In meinen Filmen kommen vor allem deshalb Tiere vor, weil ich glaube, dass in jedem von uns
ein animalischer Teil schlummert. Dieser zeigt sich gerne, wenn wir Mut beweisen oder Autoritäten herausfordern müssen.
Guan Hu

Vielschichtige Parabel
Weniger liebevoll gestaltet sich die Beziehung zu Metzger Hu, dessen Neffe vor zehn Jahren verstorben ist. Lang war in seinen Tod verwickelt und befindet sich nun in einer Fehde mit dem Onkel, der für sein Schlangenfleisch berühmt ist. Diese Ausgangslage fügt dem weiteren Verlauf der Geschichte eine gehörige Portion Dramatik hinzu, und Hu scheut es nicht, das Rachedrama als modernen Western zu gestalten. Anstatt zu Pferd knattert unser Held aber auf seinem Motocross-Bike durch die staubige Wüste, welche immer wieder Schauplatz umwerfender Aufnahmen ist. Mit seiner betörenden Bildsprache hat Guan Hu auch die Jury von Cannes zu überzeugen vermocht, wo er den Hauptpreis in der Sektion Un Certain Regard gewann.
Der Film ist visuell in einem konsequenten Grauton gehalten und kommt bis auf die Schlussszene, die mit Pink Floyd abhebt, ohne Musik aus, was die Einöde von Wüste und Stadt noch verstärkt. Die Bilder von zerfallenen Häusern, Bulldozern und einer untätigen, überalterten Bevölkerung stehen in einem krassen Kontrast zu den Durchsagen, die immer wieder über Lautsprecher durch die Stadt schallen und Fortschritt, wirtschaftliches Wachstum sowie den Zusammenhalt der Bevölkerung propagieren. Damit deutet Guan Hu nicht gerade diskret auf die Kluft zwischen Propaganda und Wirklichkeit im Reich der Mitte hin, die er dann in vielen Szenen und Begegnungen zu einer vielschichtigen Parabel ausgestaltet.
Vom Kriegsblockbuster zum Autorenfilm
Dabei hat der aus Beijing stammende Guan Hu unlängst eine frappante Wandlung in seinem Filmschaffen vollzogen. Bisher fiel er vor allem mit Komödien, Thrillern und Romanzen auf, wobei sein grösster Erfolg ein Kriegsfilm war: The 800 brach in China sämtliche Rekorde und wurde 2020 zum kommerziell erfolgreichsten Kinofilm weltweit. Nach dem fulminanten und politisch gesehen harmlosen Blockbuster bedient er sich in Black Dog eines komplett anderen Filmgenres. Der Sozialrealismus gelingt ihm auf Anhieb: Während er die sich rasant verändernde Gesellschaft in einer Provinzstadt fern der grossen Ballungszentren porträtiert, erteilt er subtil Seitenhiebe auf den von der Parteiführung in der Hauptstadt stetig vorangetriebenen Modernisierungskurs des Landes.
Der Film ist das Resultat meiner persönlichen Beobachtungen und ich spüre darin den Veränderungen der letzten zwanzig Jahre nach – mit ihren positiven und negativen Auswirkungen auf den Menschen.
Guan Hu
Ganz im Stile von Jia Zhangke, dessen Werke auf den Verlust von Menschlichkeit und den absurden Identitätswandel anspielen, der mit dem wirtschaftlichen Aufschwung des Landes einhergeht. Der hierzulande weit bekanntere Regisseur, dessen Filme A Touch of Sin oder Ash is Purest White eine Inspiration für Black Dog gewesen sein dürften, hat einen herrlichen Gastauftritt im Film. Und mit Eddie Peng hat Guan Hu für die Hauptrolle einen Superstar der chinesischen Filmindustrie engagiert, der den sturen und wortkargen Eigenbrötler Lang umwerfend verkörpert.

Mensch und Tier
Die Kommunikation geschieht in diesem Film sowieso vielfach ohne Worte. Hund und Mann verständigen sich auf einer anderen Ebene, und auch am Sterbebett von Langs Vater sind Gesten wichtiger als Dialog. Sein Vater vermacht ihm den Zoo, der zwar auch schon bessere Tage gesehen hat, aber immerhin noch einen Sibirischen Tiger beherbergt. Lang zieht es immer wieder zu dem Zoo, und das nicht nur, weil dort ein Wanderzirkus mit der hübschen Artistin Grape Halt macht. Seine Kameradschaft mit den Tieren gibt ihm schlussendlich mehr Halt, als es die menschlichen Bekanntschaften zu tun vermögen.
Wohin fahren wir?
Ich schätze, einfach weiter.
Immer schön geradeaus.
Zitat aus dem Film
Als der grosse Tag der Sonnenfinsternis kommt, geschieht so etwas wie ein Befreiungsschlag: Mensch und Tier brechen auf. Währenddem die Menschen zum nahegelegenen Berg fahren, um das Naturspektakel zu beobachten, übernehmen die Tiere das Zepter im Städtchen, endlich ungestört von den Menschen, die ihre bebrillten Augen für einmal in Richtung Himmel richten. Nur Lang bleibt bei seinem Hund und hat andere Sorgen. Das – herzzerreissende – Ende sei hier nicht vorweggenommen, dafür dies: Schauspieler Eddie Peng hat sich so sehr mit seinem «Black Dog» Xin angefreundet, dass er ihn nach den Dreharbeiten glatt adoptiert hat. Wenn das nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist. Ob die beiden zuhause auch an die gleiche Ecke pinkeln?


Guan Hu:
Guan Hu, geboren 1968 in Peking, gilt nicht nur als einer der einflussreichsten Filmregisseure und Drehbuchautoren des zeitgenössischen chinesischen Kinos sondern auch als einer der selbstbewusstesten. Er hat einen Abschluss der Filmakademie Peking und gehört wie Jia Zhang-ke zur sogenannten «Sechs…

Black Dog
Artikel veröffentlicht: 1. April 2025
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