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Filmbesprechung

Polizistin im Himalaya

Deepak Rauniyars dritter Spielfilm basiert auf wahren Ereignissen und ist in der nepalesischen Gesellschaft verankert. Während der Proteste der ethnischen Gruppe der Madhesi im Jahr 2015 verbünden sich zwei sehr unterschiedliche Polizistinnen, um einen Fall von Kindsentführung aufzuklären. Ein faszinierender Kriminalfilm und ein Plädoyer für Toleranz.

Kathmandu, Sommer 2015. Pooja (Asha Magrati), seit kurzem die erste weibliche Beamtin bei der nepalesischen Kripo, wird in den Süden beordert, um in der Terai-Ebene an der Grenze zu Indien ihren ersten Fall zu lösen. Ihr schwerkranker Vater warnt sie eindringlich davor, sich in das Gebiet zu begeben, in dem gerade Zehntausende Angehörige der ethnischen Minderheit der Madhesi auf der Strasse sind. Sie demonstrieren gegen die neue Verfassung, die ihnen als (dunkelhäutige) Nepales:innen indischer Abstammung fundamentale Bürgerrechte abspricht. Die Repression durch die Polizei hat schon zahlreiche Opfer gefordert, darunter Kinder, aber auch unter Polizeikräften sind Tote zu beklagen.

Filmstill «Pooja, Sir»

Weit weg von der Hauptstadt und den Gipfeln des Himalaya, zu denen Touristen aus der ganzen Welt strömen, liegt dieses unbekanntere Nepal in der fruchtbaren Tiefebene des Ganges und macht rund 15% des Staatsgebiets aus. Mittendrin befindet sich das Dorf Rummindei, gemäss Überlieferung der Geburtsort von Siddhartha Gautama, dem Begründer des Buddhismus. Der Ort ist seit geraumer Zeit Schauplatz systematischer Diskriminierungen gegenüber der madhesischen Bevölkerung. Kulturell und sprachlich stehen die Madhesi den indischen Ethnien näher als den tibetanisch stämmigen Pahari, den Bewohner:innen des gebirgigen Hochlandes, die hellerer Haut sind und sich als die wahren Nepales:innen verstehen. Im Zuge des 10-jährigen Nepalesischen Bürgerkriegs forderten die Madhesi eine stärkere Mitbestimmung, die sie mit dem Friedensschluss 2006 einmal mehr in Gefahr sahen. In Massendemos standen und stehen sie bis heute für mehr Gerechtigkeit und Würde ein, die ethnischen Spannungen sind weiterhin latent.

Filmstill «Pooja, Sir»

Jenseits von Schein und Sein

Hier soll Polizeiinspektorin Pooja nun unter drückendem Monsun und im Scheinwerferlicht der Medien in einem Kidnapping-Fall ermitteln: Zwei Jungs mit Pahari-Abstammung wurden entführt. Der eine ist der Sohn eines sehr einflussreichen Ehepaars, der andere stammt aus einer einfachen Familie. Die Entführer fordern ein exorbitantes Lösegeld innerhalb von 48 Stunden, andernfalls droht den beiden Kindern der Tod. Der Verdacht fällt natürlich schnell auf die Madhesi-Rebellen; der nepalesische Premierminister heizt die Stimmung am TV entsprechend an, wenn er sie abschätzig mit Mangos vergleicht: «Einige fallen vom Baum, aber der Baum bleibt stehen.»

Filmstill «Pooja, Sir»

Höflich empfangen von Polizeichef Madan (Dayahang Rais, einer der populärsten nepalesischen Schauspieler), wird Pooja bald hinter die Kulissen und politischen Interessen blicken, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, und versuchen, die beiden Kinder zu retten. Ihr Aussehen und die Uniform der Unterdrücker machen ihr die Aufgabe im rebellischen Gebiet nicht gerade leicht und sie ist dringend auf die Unterstützung der lokalen Polizeibeamtin Mamata (Nikita Chandah) angewiesen.

Filmstill «Pooja, Sir»

Über den scharfen und gleichzeitig empathischen Blick von Pooja erzählt Regisseur und Drehbuchautor Deepak Rauniyar von realen Ereignissen und verwebt sie zu einem packenden sozio-politischen Krimi. Wie seine ersten beiden Spielfilme Highway und White Sun, die an unzählige Festivals auf der ganzen Welt reisten und auf filmingo.ch im Streaming verfügbar sind, führt sein dritter Spielfilm in ein unbekannteres Nepal, das sich von stereotypen Vorstellungen fernhält und der Wirklichkeit umso näher kommt. Die Kamera von Sheldon Chau, mit dem Deepak Rauniyar zum ersten Mal zusammenarbeitet, gibt Nahaufnahmen den Vorrang. Wir sind mittendrin in den Ermittlungen, quasi im Kopf von Pooja, selbst in den Massenszenen.

Tägliche Diskriminierungen

Mit einem Beruf, der vorwiegend von Männern ausgeübt wird (die nepalesische Polizei zählt gerade mal 5 bis 7% weibliche Angestellte), meidet Pooja die etablierten Codes einer weiblichen Erscheinung. Als Kollegin Mamata sie vor versammeltem Korps mit «Frau» anspricht, weist sie sie sofort in die Schranken: «Ich ziehe Herr vor!» – worin also der Filmtitel Pooja, Sir begründet liegt, der einen geläufigen Hindu-Frauennamen gewagt mit der männlichen Anrede kombiniert. «Weshalb wollen Sie unter allen Umständen vermeiden, Ihre Attribute als Frau zu zeigen?», fragt Mamata – langes Haar und traditionelles Kleid – sie später irritiert.

Filmstill «Pooja, Sir»

Schauspielerin Asha Magrati, ebenso Co-Drehbuchautorin und langjährige Partnerin des Filmemachers, verkörpert eine Pooja, deren Kraft und Entschlossenheit aus täglich erlebter Diskriminierung erwachsen sind – aufgrund von Geschlecht, Erscheinung und sexueller Identität. Und das in Kathmandu, das in Sachen LGBT-Rechte im Vergleich zu den Nachbarländern noch als fortschrittlich gilt. Augenscheinlich wird die verbreitete Gesinnung an Poojas Vater, der zuhause grosse Mühe hat, Poojas Partnerin Rama zu akzeptieren, obwohl sie sich liebevoll um ihn kümmert.

Filmstill «Pooja, Sir»

Die Figur der queeren Polizistin ist aus den Beobachtungen und Begegnungen des Filmpaares hervorgegangen. Auch die fatalen Folgen der Diskriminierung der Madhesi und der tiefliegende ethnische Hass, den Pooja im Süden vorfindet, sind mit der persönlichen Geschichte des Paares verknüpft (siehe Gespräch nächste Seite). Deepak entstammt dem Volk der Madhesi, während Asha zu den dominierenden Pahari gehört. Die Liebe zum Kino hat die beiden zusammengeführt, mit ihren Filmen leisten sie Widerstand.

Filmstill «Pooja, Sir»

Ein Plädoyer für die Emanzipation

Die andere Heldin des Films ist die madhesische Polizistin Mamata. Sie wird nicht nur vom herrschenden Teil der Gesellschaft verachtet, sondern leidet auch unter der weit verbreiteten Frauenfeindlichkeit. In einem der ärmsten Länder der Welt, das politisch äusserst instabil ist, diktiert das Patriarchat seine Gesetze in allen Bereichen. Mamatas und Poojas Ringen um Emanzipation geht Hand in Hand mit Menukas Kampf, die als Madhesi ein tragisches Schicksal überwinden muss und ebenso Recht und Gerechtigkeit fordert. In einem Interview mit dem Magazin «Variety» unterstreicht Deepak Rauniyar, dass die Anerkennung queerer Personen und der Kampf gegen Rassismus weltweit ein grosses Thema sind, «doch in Südasien sprechen wir nicht einmal davon, anerkennen ebenso wenig, dass es ethnische Spannungen gibt.» Asha Magrati hält ihrerseits fest: «Es ist die Geschichte von unserem Leben. Jedesmal, wenn wir ausgehen, wenn wir verreisen, sprechen Hellhäutige abschätzig über Deepak und behandeln ihn schlecht. Die Menschen müssen dringend verstehen, was sie da – bewusst oder unbewusst – tun.»

portrait Deepak Rauniyar

Deepak Rauniyar:

Deepak Rauniyar, 1978 im nepalesischen Saptari geboren, fiel erstmals mit seinem mit einem Mikrobudget gedrehten Spielfilmdebüt Highway auf, das an der Berlinale 2012 in der Sektion Panorama seine Premiere feierte. Es war der erste Film aus Nepal, der überhaupt je an einem der wichtigsten internati…

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