Casa de areia - The House of Sand
THE HOUSE OF SAND brings together for the first time two of Brazil’s most celebrated actresses. Academy Award nominee Fernanda Montenegro and
Palme d’Or winner Fernanda Torres – real-life mother and daughter – shine in this unique film about the lives of three generations of women. They persevere as they are challenged by the forces of Mother Nature and the tough, inhospitable sand dunes of northern Brazil, which play pivotal roles in their lives. Brought to life by the stunning cinematography of Ricardo Della Rosa, THE HOUSE OF SAND celebrates the struggles, passions and deep hidden desires of people trapped by their fate.
Festivals & awards
Winner Best Actress Award Guadalajara/Mexico
Alfred P. Sloan Feature Film Prize, Sundance
World Cinema, Toronto
Panorama, Berlin
Credits
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Press voices
«Hundert Jahre Einsamkeit wäre auch ein Titel gewesen, wenn er nicht schon vergeben wäre.»
P.S. Zürich
»Atemberaubend»
Züritipp
«Grosses, unvergessliches Kino.»
Biel/Bienne
«Grandios in Komposition und Anspruch.»
NZZ am Sonntag
«Bildgewaltig, wortkarg, existenzialistisch.»
Mybasel
«Die Lust am Cinemascope-Format beschert uns einen opulenten Augenschmaus - streicht aber gleichzeitig die existenzialistische Dimension der Handlung heraus.»
NZZ
«Ausserordentlich . . . sengend schön. »
Folha de São Paulo
«Das Resultat ist faszinierend und mehr als nur vitales Erzählkino mit bestechend schön fotografierten Bildern: eine bewegende Meditation über Körper, Landschaft, den Fluss der Zeit und das Leben im Ausnahmezustand als Alltag.»
Der Bund, Bern
«So tritt Waddington zum zweiten Mal in Folge den Beweis an, dass das aktuelle brasilianische Kino einen eigenen filmischen Ausdruck findet und dabei erfrischend und intelligent zu unterhalten vermag.»
Basler Zeitung
«Diese atemberaubend schöne Ecke der Welt ist gleichzeitig Paradies und Hölle, und man wischt sich beim Verlassen des Kinos den Sand von den Kleidern.»
Radio DRS 2
«Was für ein Film, welch epische Bilder. Das ist wohl der beste brasilianische Film seit Jahren. »
O Globo, Rio de Janeiro
«Es gibt Filme von schlicht unvergesslicher Bildlichkeit. Eines dieser Kleinode ist «The House of Sand», eine 59 Jahre umspannende Familiensaga des Brasilianers Andrucha Waddington ... Es ist viel mehr die phantastische Kamera von Ricardo Della Rosa, der - mal hautnah dran am Geschehen, dann wieder sich in der glimmernden Weite der Wüste verlierend - dem Film eine betörende Bildlichkeit verleiht. Und es ist das intensive Spiel der die Rollen von Oma, Mutter und Tochter unter sich aufteilenden Schauspielerinnen Fernanda Montenegro und Fernanda Torres, die auch im wirklichen Leben Mutter und Tochter sind.»
Independent Pictures, Irene Genhart
«Gekonnt photographiert Waddington die Wüste im Cinemascope-Format als grandios-archaische Landschaft, als Ort ausserhalb aller Orte, an dem nichts anderes mehr zu existieren scheint, als der stetige Lauf des Sandes und der Zeit.»
Cineman
«The House of Sand ist der persönlich-ste und mutigste Film von Andrucha Waddington. Im unvergleichlichen Schicksal der Frauen steckt die Atmos-phäre von Gabriel García Márquez drin.»
José Geraldo Couto
Time Out, London (Geoff Andrew):
"The two Fernanda’s, each playing, as the film proceeds through the decades, more than one character, play their roles with sensitivity, skill and considerable charisma."
Film Threat (Michael Ferraro):
"A massivelybeautiful epic."
Newsday (Jan Stuart):
"A shimmering masterwork... profoundly moving... 'The House of Sand' succeeds magnificently"
LA Times (Carina Chocano):
“Exquisitely beautiful film...screenwriter Elena Soárez weaves a lyrical narrative about isolation and time that recalls great space allegories such as 2001: A SPACE ODYSSEY and THE LITTLE PRINCE... Torres gives a touching, remarkable performance as a passionate and willful young woman lost in space and cut off from time, and as Doña Maria and the older Áurea, Montenegro gives wonderful portrayals of the aftermath of their choice to adapt and survive when it becomes clear to her that the world has passed them by. Heartbreaking and strange, "House of Sand" is as original as it is lovely.”
New York Times (A.O. Scott):
“Lovely film... The story that links these moments has the clarity of a fable and the sentimental enchantment of a magic-realist novel. Mr. Waddington, who brilliantly evoked the dry, brown Brazilian backlands in ME YOU THEM, brings out the psychological nuances of the story (the script is by Elena Soárez) even as he respects its bold, primal emotions and the almost classical dignity of the main characters”
Newsday (John Anderson):
“If David Lean and William Faulkner had ever collaborated, and brought in Henry Moore to do set design, HOUSE OF SAND might have been their troubling brainchild. An exercise in Brazilian existential anxiety, the film does for sand what DAS BOOT did for water, and ATANARJUAT (THE FAST RUNNER) did for ice, presenting human beings as all but irreconcilable to either the natural world or themselves... grand, fatalistic and visually stunning. HOUSE OF SAND is fascinating, compelling and most of all seductive, its inhabitants caught in a no-man's land between sand, sky and sea, and unable to look at any of it for what it is.”
New York Post (V.A. Musetto):
“Ricardo Della Rosa's sumptuous, wide-screen cinematography takes full advantage of the sandy vista, complementing beautiful acting by Montenegro and Torres.”
TRIGON MAGAZIN HEFT 32
©Walter Ruggle
Mit seinem Spielfilmerstling Eu, tu, eles hat der Brasilianer Andrucha Waddington vor drei Jahren an der Croisette von Cannes von sich reden gemacht. Die in die trockene Landschaft hinein inszenierte Geschichte von einer Frau, die sich drei Männer für verschiedene Zwecke hält, stand in einem erfrischenden Sinn quer zu dem, was da sonst zu sehen war. Auch in seinem neuen Film Casa de Areia prägt die Landschaft die Menschen und das Dasein, auch hier prägen Frauen das Geschehen. Und eine Hauptrolle spielt die Wüstenlandschaft im hohen Norden Brasiliens, in die hinein die Handlung über Sein und Zeit choreographiert ist. Atemberaubend sind die Bilder dieser Gegend, meditativ die Reise durch ein Jahrhundert am Rand der zivilisierten Welt.
Am Anfang war die Landschaft. Ein Flug, ganz langsam, sanft fast, über astrein wirkende Sanddünen hinweg, Dünen, die wie Schallwellen sich ausbreiten, im Ohr, so will es scheinen, das Rauschen eines Meeres, das nicht weit sein kann – oder ist es doch der Wind, der über die Dünen weht? Dann nimmt die Kamera einen einzelnen Dünenzug ins Blickfeld, mit grosser Geste in die Landschaft hineingeworfen. Auf ihm zieht ein Mann mit Tieren einher, gefolgt von einem anderen, von weiteren Tieren und weiteren Menschen. Was nur machen die da? Wo wollen sie wohl hin? Die Wüste durchqueren, um an eine fruchtbare Stelle zu gelangen am anderen Ende? Wenn es da überhaupt ein anderes Ende gibt. Wohin bloss zieht es sie?
Körper, Landschaft, Zeit
Die Regie lässt sich Zeit, nicht nur, weil nun die Namen der Mitwirkenden in die Dünen eingeblendet werden. Es ist auch jene Zeit, die eine Einstellung braucht, will sie etwas von der Beschwerlichkeit des Gangs zeigen, dem die Figuren im Bild sich aussetzen. Zeit fassbar machen, die sie brauchen, um nur schon vom einen Ende des Dünenbogens zum anderen zu gelangen. Und die Landschaft hier ist voll von Dünenbogen. Wir befinden uns im Bezirk Marahnão, am nördlichen Ende von Brasilien. Man schreibt das Jahr 1910. Das wird zur Situierung des Beginns der Handlung eingeblendet – die Zeit also in einer anderen Dimension noch, in einer historischen. Und jetzt erst der Schnitt in die Nähe, hart kadriert auf zwei Frauengesichter, die sich durch ebendiese immense Landschaft schleppen, ausser Atem, das Bewusstsein ausgeschaltet, schwitzend, mit letzter Kraft.
Es sind nur wenige Einstellungen in grandiosem Cinemascopeformat, die Andrucha Waddington benötigt, um uns einzunehmen für einen Ort, an den er uns entführen will und an dem kaum jemand von uns sein Leben fristen möchte. So faszinierend die Landschaft, so abseitig ist sie. Waddington selber sagt, dass er von einem befreundeten Produzenten auf die Region im Norden Brasiliens aufmerksam gemacht worden sei. Dieser habe, nachdem er seinen Film Eu, tu, eles gesehen hatte, gemeint: «Dort musst du mal einen Film drehen.» Eine Reise an den Ort machte dem jungen Regisseur klar: Diese Landschaft ist eine Bühne, auf die ich eine Geschichte inszenieren möchte. Und klar dürfte auch rasch gewesen sein: Es muss eine Geschichte mit archaischen Zügen sein, eine Geschichte, in der es ums Lebendige geht, um das, was uns allen bleibt, wenn es nichts mehr gibt ausser unseren Körper, die Landschaft und: die Zeit.
Traum von der Lagune
Die Idee zum Film The House of Sand (Casa de Areia) entstand also aus der Landschaft heraus. Man neigt, sieht man sie, sogar dazu, sich für das Bild zu entscheiden, diese Landschaft habe die Geschichte dieses Films geboren. Und Waddington tat gut daran, die Landschaft selber wie eine Schauspielerin zu behandeln, zu betrachten, agieren zu lassen.
Eine Gruppe von Leuten kämpft sich Düne um Düne vorwärts. Kleinste Spuren im Sand werden als Zeichen der Hoffnung wahrgenommen, denn Spuren bedeuten, wo immer man hinkommt, auch Leben. Anderes Leben. Der weisshaarige bärtige Anführer der Gruppe wähnt sich bereits nahe der Lagunen, die er erwartet. Lagunen sind wichtig, denn ohne Wasser gibts kein Leben. Das vermeintliche Meeresrauschen wirkt in dieser unendlichen Wüstenlandschaft wie eine Fata Morgana – eine akustische einfach. Ich weiss nicht, ob es eine solche gibt, aber wenn es sie irgendwo gibt, dann sicher an diesem Ort, an den es Vasco de Sâ mit Aurea und Dona Maria Aurea, ihrer Mutter, verschlagen hat. Warum nur? Der alte Weisshaarige ist der Mann der Tochter, um mindestens zwei Generationen älter will er wirken, aber er hat sie gefreit und ist mit ihr, mit ihrer Mutter und einem ganzen Tross losgezogen, um ein Landstück zu suchen, das er gekauft hat, das er sein Eigen nennen darf. Eigentum, das zählt an einem derart weltabgeschiedenen Ort zwar nichts, aber diese Menschen kommen zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus einer Welt, in der das Eigentum alles ist. Auch wenn sie nicht eben viel davon haben.
Das Eigen
Das höchste Gut in jener Zeit ist ein Stück Land. Eine sanfte Kamerafahrt hinter dem Rücken Vascos macht es deutlich. Von oben weitet sich sein und unser Blick hinab auf einen feuchten sandfreien Fleck Landschaft; das höchste Eigentum für diesen Mann ist ein Stück Land und eine Frau. «Vasco», sagt Aurea, sich neben ihn setzend, «ich war einverstanden, mit dir hierher zu kommen. Ich habe nie gedacht, dass es einfach sein würde». Und, sie fügt es nach einer kleinen Pause nebenbei an: «Ich erwarte ein Kind. Ich habe zugewartet, es dir zu sagen, bis ich sicher war.» – Vasco, wenig beeindruckt: «Es wird ein Knabe sein, und er wird mir hier helfen.» – Sie: «Dieser Ort ist nichts für ein Kind, Vasco. Das – das ist kein Ort für niemanden. Lass uns nach Hause gehen, Vasco. Lass uns zurückgehen.» Mit Vasco aber gibt es keine Diskussion: Es gibt kein Zurück, hier wird geblieben, dieses Land ist sein Land. Sein Eigen. Was das mit dem Eigentum bedeutet, wird sich rasch zeigen, wenn Menschen, die hier leben, auftauchen. Es sind flüchtige Sklaven, die der Zivilisation, der so genannten, entflohen sind, weil sie es als
unzivilisiert empfunden haben, Eigentum von anderen Menschen zu sein und wie Tiere gehalten zu werden. Sie zogen es vor, an diesem unwirtlichen Ort zu bleiben und sich mit dem Wenigen, was es da gibt, eine Existenz aufzubauen.
Die Endlichkeit in der Unendlichkeit
Andrucha Waddington inszeniert seine Handlung in die Landschaft herein, und er schöpft das breite Leinwandformat dazu aus. Selten wird das Format visuell noch so konsequent genutzt. Es gibt andere Wüstenfilme wie David Leans Lawrence of Arabia, die die Pracht der Breite auch nutzten, um von der Unendlichkeit zu erzählen. Hier kommt dazu, dass der Brasilianer es versteht, die Figuren einerseits in dieser Landschaft verloren zu Nichtsen werden zu lassen und ihnen gleichzeitig in den nahen Einstellungen so nah zu kommen, dass ihre Gesichter spiegeln können, was die Wüste in ihnen auslöst und bewegt. Eine Kraft des Filmes besteht darin, dass er uns die Endlichkeit in dieser Unendlichkeit spürbar macht, fassbarer werden lässt über das Bild, das er davon schafft.
Die japanische Frau in den Dünen
Wer heute einen Film dreht, hat andere Filme gesehen. Eine Referenz, die Andrucha Waddington selber nennt, ist der japanische Spielfilm Suna no onna (Die Frau in den Dünen) von Hiroshi Teshigahara aus den frühen sechziger Jahren, gedreht nach dem gleichnamigen Roman von Kôbô Abe. Dort findet sich ein Insekten sammelnder Mann in einem Haus bei einer mitten in den Dünen allein lebenden Frau wieder. Die Dorfbewohner hatten ihn zu ihr geschickt und über Nacht die Leiter entfernt, die ihm die Rückkehr ermöglicht hätte. Sie wollten, dass jemand der Frau in den Dünen beim ständigen Kampf gegen den wandernden Sand hilft. So sieht er sich gezwungen, bei ihr zu bleiben und mit ihr gegen den fliessenden Sand zu kämpfen. Immer wieder versucht er zu fliehen, mit der Zeit sieht er die Hoffnungslosigkeit seiner Versuche ein und stellt sich auf die Situation ein. Am Ende bleibt er, als er tatsächlich einen Ausweg hätte, bei der Frau in den Dünen, mit der ihn in der Zwischenzeit auch eine Liebesgeschichte verbindet. Das ist eines der grossen Huisclos-Dramen des Kinos, ein Film ebenfalls von rarer Schönheit und existenzieller Tiefe.
Noch viel weiter zurück in der Filmgeschichte liegt Greed von Erich von Stroheim, jenes epochale Meisterwerk, von dem nur noch Fragmente erhalten sind, allein sie sind derart packend, dass man sich diesen Film einmal im Jahr anschauen sollte. Die Handlung kulminiert hier in einer Reise in die Wüste, ins Death Valley, wo die beiden Figuren ihren letzten Kampf austragen, an einem Ort, von dem mit Sicherheit keiner der beiden noch lebend zurückkehren wird. Es ist ein Kampf um Geld und Eigentum. Vielleicht schafft es der Vogel noch, der aus dem Käfig freigelassen wird, die Freiheit einer lebenswerten und lebbaren Umgebung wieder zu erreichen. Von Stroheim lässt das offen und seine beiden Figuren zurück in der ausgetrockneten Landschaft.
Keiner kommt an, keiner kann weg
Auch die Tochter und die Mutter in The House of Sand versuchen, ihrem Ort zu entrinnen, nachdem der alte Vasco in den Trümmern seines einstürzenden Hauses umgekommen ist. Aber ein Entrinnen gibt es an gewissen Orten nicht. Die einzige Chance, die die beiden mit dem noch ungeborenen Kind haben, ist hier zu bleiben, sich auf ein Leben hier einzustellen und zu hoffen, dass mal einer vorbeikommen möge, der sie mitnimmt und befreit aus ihrer Situation. Wie Gestalten eines anderen Planeten nehmen die beiden bürgerlich gesitteten Frauen die schwarzen Männer wahr, die da leben. Die Kamera schwebt mit der Mutter zum Meer, das bisher nur hörbar war und erahnt werden konnte. Immer wieder schafft es Waddington, ein Gefühl, eine Stimmung, ein Moment rein visuell zu vermitteln, zum Beispiel hier, wo so etwas wie Leben sichtbar wird. «Ich will mit meiner Tochter weg von hier», erklärt die Mutter einem schwarzen Massu, der diesen Traum schon lange aufgegeben hat und froh ist, nicht dort zu sein, wo es die Mutter wieder hinzieht. Für jeden ist das Hier und Anderswo etwas anderes. Er erklärt ihr, wie sie vom Fischfang leben können, und sie will wissen, ob da jemals jemand vorbeikomme? «Hier kommt keiner an», meint Massu lakonisch, «und hier geht keiner weg.»
Bei uns sein
Das also ist gesetzt. Andrucha Waddington begibt sich wie in seinem ersten Spielfilm Eu, tu, eles sehr weit weg von dem, was wir uns gewohnt sind, um sichtbar zu machen, was ist, wenn das fehlt. Was dann im Vordergrund steht. Und wie im anderen Film bleibt den Figuren nichts, ausser bei sich selber zu sein und sich mit dem anzufreunden, was da ist. Ist das womöglich etwas, was wir verloren haben, was bei uns verkümmert ist?
In Eu, tu, eles hat die Frau die Flucht versucht, ist in die Stadt gezogen und mit Kindern zurückgekehrt. Sie war – Waddington hat uns das Erzählen des Aufenthalts dort erspart, das kennen wir ja – in der Stadt nicht glücklich, wurde ausgenutzt und hat irgendwann begriffen, dass sie ihr Leben bei sich im Dorf besser im Griff haben könnte. Und sie hat, zurückgekehrt, sich gleich drei Männer gehalten, um glücklich zu sein. Sie tat dies im Bewusstsein, dass ein Mann allein einer Frau nicht alles bieten kann, was sie braucht; sie hat wohlweislich drei verschiedene genommen, die ihr je einen Teil dessen bieten konnten, was sie begehrte. Und also fand sie zu ihrem Glück.
Hier, in den Dünen, müssen sich die drei Frauengenerationen also erst einmal einrichten auf eine gänzlich andere Existenz, in der auch ihre städtischen Kleider wenig Funktion haben. Es gibt an diesem Ort kein Entrinnen. Sein Vater sei hierher geflohen, erläutert der Schwarze, und er selber sei hier aufgewachsen, kenne nichts anderes. Der Vater wäre seiner Situation entronnen und habe immer gehofft, einmal zurückzukehren, wenn die Sklaverei endlich abgeschafft wäre. Ein vergeblicher Traum. Als es so schien, als wäre die Zeit vorbei, sei er nicht zurückgegangen, um das zu prüfen, denn er hätte Angst davor gehabt, dass es eh nur eine Lüge der Herrschenden sei.
Die Wüste – eine immense Sanduhr
Massu hilft den Frauen, ein Haus an der Lagune einzurichten und so etwas wie Wohnlichkeit am unwirtlichen Ort herzustellen. Die Tocher will, Schwangerschaft hin oder her, weggehen mit dem nächstbesten Passanten – aber das bleibt eine Illusion. Die Kamera schweift über die unendlich wirkende Wüstenfläche, um nach einem Schnitt in die Nähe den langsam fliessenden Sand zu erfassen. Die Düne frisst das Haus, in dem jetzt eine Tochter lebt, einer Sanduhr gleich rinnt sich der Ort voll – die Zeit, sie steht nicht still, und wir sind mit einem Wüstenschwenk um mehr als ein Jahrzehnt weiter.
Die Zeit, sie zeigt sich in so vielen Facetten: In den Gesichtern zum Beispiel, in denen das Älterwerden seine Spuren hinterlässt, im Wiederkehrenden, wenn aus der Tochter eine Mutter wird und die Mutter bald einmal zur Grossmutter macht. Tochter und Mutter werden von zwei der bekanntesten Schauspielerinnen Brasiliens verkörpert, von Fernanda Montenegro und Fernanda Torres, die auch im wirklichen Leben Mutter und Tochter sind. Eine umso packendere Konstellation, als sie im Film ja mehrfach die Rollen tauschen und über die einhundert Jahre Einsamkeit hinweg mal Mutter sind mal Tochter, dann Mutter der Figur, die sie eben noch als Tochter verkörpert haben. Auch mit dieser Besetzung und diesem Wechselspiel lässt uns Andrucha Waddington über das Sein in der Zeit nachdenken. Mit der Besetzung Vascos durch Ruy Guerra, eine der Schlüsselfiguren des Cinema Novo und Autor von so wichtigen Filmen wie Os fuzis (1964), erweist er darüber hinaus auch der legendären Filmzeit in seiner Heimat eine Referenz. Waddington steht, das machte er bereits mit Eu, tu, eles klar, in dieser Tradition, auch wenn er seinen eigenen Weg geht und man die betont brüchigen Geschichten von damals so eins zu eins nicht mehr machen könnte. Aber er vertraut auf das autochtone Brasilien, darauf, dass sich hier existenzielle Geschichten erzählen lassen, die die menschliche Natur in der eigenen Kultur abtasten.
Von der Relativität
Aurea gibt die Hoffnung nicht auf. Sie zieht los, als sie eines Tages
frische Spuren im Sand entdeckt, und sie findet nach langer Wanderung tatsächlich Menschen aus der Zivilisation, die wie Extraterrestrische wirken in dieser Mondlandschaft. Über die Begegnung und die Liebesnacht mit dem Soldaten Luiz, der die wissenschaftliche Exkursion begleitet, erfährt Aurea mehr von der Dimension der Zeit, die in The House of Sand eine elementare Rolle spielt und letztlich ein Hauptthema ist. Hoch auf einer Düne und über den Zeltdächern der Expedition erklärt Luiz Aurea, dass die Männer da Himmelsbeobachtungen machen würden und die Sonnenfinsternis sich dazu besonders gut eigne. Während einer Eklipse liessen sich Aufnahmen machen, mit denen man Dinge über Himmelskörper beweisen könne. – Wozu? will die staunende Frau gedankenverloren wissen? Denn sie kann nicht nachvollziehen, wozu das alles nützlich sein soll, wo es im einfachen Leben doch weit grössere Probleme gibt, die zu lösen wären. Nun erzählt Luiz ihr zur Erklärung die schöne Geschichte von den beiden Zwillingen, von denen einer eines Tages mit einer Rakete ins All geschossen wurde, während der andere zurückblieb. Als jener von seinem Flug in den Raum wieder nach Hause kam, war er jünger als sein Zwillingsbruder, der hier geblieben war. Aurea meint nur, sie möchte nicht die gewesen sein, die hier geblieben ist. Und kommt damit zu ihrem zentralen Anliegen, das viel naheliegender ist: «Können Sie uns von hier fortbringen, meine Mutter, meine Tochter und mich?»
Besiegelte Ankunft im Liebesakt
Bis sie mit Mutter und Tochter an die Stelle zurückkehrt, ist Luiz mit seiner Expedition schon lange wieder verschwunden. Was bleibt, ist die Erinnerung an eine schöne Liebesnacht, der Gedanke an die Relativität des Zeitlichen und die Hoffnung, dass Luiz zurückkommt, sie zu holen. Zurück im Haus im Sand schneidet sich Aurea die Haare und gibt sich Massu hin. Jetzt scheint sie angekommen. Sanft zeichnet Andrucha Waddington diese Annäherung der Frau an den Mann, im Haus, das er am Ausbessern ist. Ein Blick, der von der Sehnsucht kündet, ein verlorenes Glück, eine aufgegebene Hoffnung und ein Bedürfnis nach Liebe, das gestillt werden will. Die beiden Körper, schwarz und weiss, ausgebreitet wie die Dünen der Landschaft – ein Liebesakt, in dem sich alles entlädt und aus dem eine ganz andere Hoffnung wächst.
Verlassen haben wir die Zeit, und dennoch läuft sie auch hier. Ein Flug über die Dünen, auf denen nun eine einsam wirkende junge Frau steht und über denen Flugzeuge sichtbar werden. Maria, die Tochter der Tochter, ist erwachsen geworden und lebt und liebt aus, was sie bei den Erwachsenen gesehen hat. Sie ist ein Teil dieser Wüste, in der das Leben roher, direkter, unverblümter, animalischer wirkt. Was kann da noch bleiben? Waddington erzählt von einem Rückzug aus der Zivilisation, vom mehrfachen Scheitern des Versuchs, diese wiederzugewinnen und davon, wie sich das Leben fernab immer mehr auf ein paar wenige Momente reduziert. Die Tochter Maria hat alle Grenzen nicht mehr, die die Alten noch hatten. Sie säuft, sie raucht, sie legt sich lasziv in die Matte. Sie ist sie, sie macht, was sie will: Enfant sauvage und Lolita in einem.
Die Rückkehr des Liebhabers
Als eines Tages der leblose Körper eines abgestürzten Fliegers angeschwemmt wird und ein Jeep zur Untersuchung des Unglücks eintrifft, ist nicht nur die neue Zeit der Motorisierung eingetroffen, mit ihr kehrt auch der Liebhaber Luiz wieder. Ein verrückter Moment, denn nun begegnen sich zwei Zeiten, trifft der Mann doch zunächst auf die Tochter seiner zurückgelassenen Liebschaft, erkennt er diese in ihr. Es ist, als wären von den beiden Zwillingen, von denen er Aurea erzählt hatte, einer ins All gegangen und der andere zurückgeblieben. Hier wärs einfach umgekehrt: Sie, die Dagebliebene, ist jünger geworden, er, der Abgereiste, ist ein alter Mann.
Man kann in dieser Erzählung immer wieder auf das Moment der Zeit stossen, des Zeitlichen, das hier in der Abgeschiedenheit dieser nordbrasilianischen Landschaft ganz andere Dimensionen hat. Wenig änderte sich in den über zwanzig Jahren, in denen der Mann weg war, bei ihm selber aber spielte sich ein ganzes Familienleben ab. Die Begegnung des wirklichen Paares wenig später braucht kaum Worte: «Aurea». – «Luiz».
Und zwischen ihnen steht die Zeit, ist körperlich fassbar, kein Abstraktum mehr. «Kann ich dich eine Minute sprechen?», fragt sie, und das klingt, angesichts der zeitlichen Dimension seiner Absenz, fast schon vermessen. Sie will eines: dass er die Tochter mitnehme. Sie selber wird bleiben, denn irgendwann ist man an jedem Ort auf diesem Planeten angekommen, bei sich selber und an dem Ort, den man als sein Zuhause bezeichnen würde.
Was nun ist die Zeit?
Was nun ist die Zeit? Das hatte sich bereits Aurelius Augustinus in seinen «Bekenntnissen» gefragt. Ein letzter Schwenk über die Dünen bringt die Gegenwart zurück und mit ihr den Wagen, der nun hier ankommt. Die Motoren haben die Distanzen verringert: Was einst Tagesreisen bedeutete und die Dinge unendlich weit entrückte, ist heute nah und einfach erreichbar. Schnell durchmessen wir mit technischen Hilfsmitteln den Raum und verkürzen damit vermeintlich die Zeit. Bleibt die Frage, ob wir selber damit wirklich vorwärts kommen. Oder nur anderswo hin. Maria kehrt als gesetzte Frau zurück, eine Städterin, man sieht es ihr an. Ihre roten Turnschuhe zeigen: Das ist Gegenwart. Maria besucht ihre Mutter, die in den Dünen geblieben ist wie jener Mann in Japan in der Geschichte von Kôbô Abe. Und was bringt sie ihr mit aus der Stadt? Musik in einem Kassettengerät. Musik, die eine Dimension der Kultur öffnet. Musik, die unter anderem auch eine Zeitkunst ist.
Was suchen wir, wenn wir reisen?
«Der Mensch hat seinen Fuss auf den Mond gesetzt», weiss Maria ihrer Mutter zu berichten. Das spielt hier natürlich keine Rolle. Dennoch interessiert sich die Mutter dafür, denn Maria erzählt auch, dass man ihn mit einer Rakete da hinauf katapultiert habe. «Kam er jünger zurück?» will die Mutter wissen. – Nein, er hätte eher älter gewirkt als zuvor. – «Und, was fand er auf dem Mond?» – «Nichts.» – «Nichts?» – «Ich hörte, er fand nur Sand.» – «Sand?» – «Ja, Sand.» The House of Sand ist ein wunderbarer und wunderschöner Film über den Fluss der Zeit, mitten im Sand, der still zu stehen scheint und sich doch bewegt. Ein Film, der uns aus unserer hektischen Gegenwart entführt an einen Ort, an dem die Zeit zerrinnt, ohne dass man sich dessen Gewahr wird, an einen Ort, an dem der Rest der Welt keine Rolle spielt und der Einzelne also bei sich sein kann. Andrucha Waddington und sein grossartiges Schauspielerinnenduo Fernanda Montenegro und Fernanda Torres kommen aus Brasiliens Grossstädten und sie lieben das Leben dort. Aber, das haben sie in Berlin erzählt, die Reise in diese phänomenale Wüstenlandschaft hinaus, die Arbeit mit den Menschen dort, fernab von allem Trubel, der uns gewöhnlich umgibt, habe sie über vieles nachdenken lassen. Und das hätte ihnen gut getan. Eine der Qualitäten von Andrucha Waddingtons Film ist es, uns ein gutes Stück dieser Erfahrung, dieser «sensation», wie man auf Französisch so schön sagt, ganz direkt und beschaulich zu vermitteln.