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Filmbesprechung

DoppelgÀnger-Doppel

In der Innenstadt von Teheran sieht Farzaneh, eine junge Fahrlehrerin, wie ihr Mann Jalal in die Wohnung einer Frau geht. Als sie ihn zur Rede stellt, behauptet Jalal, er sei aus beruflichen Gründen unterwegs gewesen. Er beschliesst, sich selbst ein Bild von dem GebĂ€ude zu machen. Dort trifft er eine Frau, die Farzaneh wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Ihr Name ist Bita. Verblüfft vergleichen die beiden Familienfotos: Auch der Ehemann von Bita sieht genauso aus wie Jalal.

In diesem Film gibt es eine Rechenaufgabe zu lösen und noch mehr: Mani Haghighis neustes Werk ist ein cleveres Vexierspiel und besticht einmal mehr durch Einfallsreichtum und unerwartete Wendungen. Im Vergleich zu den letzten zwei schillernd inszenierten Filmen Khook und A Dragon Arrives! prĂ€sentiert der Iraner den surrealen Psychothriller in dunkleren Tönen und Nachtaufnahmen, die aberwitzige Überdrehtheit weicht einer geradlinigen ErzĂ€hlung, um einmal mehr in die typisch haghighsche RĂ€tselhaftigkeit zu mĂŒnden, die nach dem Kinobesuch zu reden gibt. Jeder Filmstoff verlangt nach seiner eigenen Inszenierung und an spielerischer Wendigkeit hat es dem Filmemacher mit Hang zum Genremix noch nie gefehlt.

Auch wenn bei iranischen Filmen sofort Fragen nach Kritik am politischen System und der EinschrĂ€nkung oder Umgehung der Zensur auftauchen, explizit politisch zu sein ist Haghighis Ansinnen nicht. In der von ihm gepflegten Abstraktion – hier Subtraktion – liest sich dennoch stets die Befindlichkeit einer Gesellschaft ab, die im Alltag unter eigenen Bedingungen mit den ĂŒblichen Fragen des Daseins hadert. Umso mehr, wenn sie gerade fĂŒr die grundlegendsten Menschenrechte auf der Strasse steht: fĂŒr die Frau, die Freiheit und das ganz normale Leben. Mit Baraye (das in Farsi «fĂŒr» und «wegen» bedeuten kann) hat Shervin Hajipour aus Twitter-Schnitzeln eine Ballade und einen Protestsong zusammengefĂŒgt, der ebenso schön wie traurig ist und gerade um die Welt geht: «FĂŒr das Tanzen auf den Strassen. Wegen der Angst, die man beim KĂŒssen empfindet. FĂŒr meine Schwester, deine Schwester, unsere Schwestern. FĂŒr das Überwinden verrotteter Strukturen. Wegen der Scham, die die Armut bringt. FĂŒr die Sehnsucht nach einem normalen Leben.» Dies sei hier nicht nur aus GrĂŒnden der AktualitĂ€t festgehalten, sondern auch, weil die unsichtbare Mauer zwischen der vom Staat erzwungenen RealitĂ€t und dem wirklichen Leben der Menschen in Subtraction mit im Raum schwebt.

Im Fahrzeug braucht's keine Drehbewilligung

Doch zuerst ein Wort zur Frau. Man nimmt sie in Haghighis Filmen immer schon als ein starkes Wesen bis in die kleinste Nebenrolle wahr, und er hat das in GesprĂ€chen mehr als einmal hervorgehoben. Das nach aussen vermittelte Bild der Unterordnung stimmt eben nur in Teilen, wovon die aktuellen Ereignisse eindrĂŒcklich Zeugnis ablegen. So verwundert es auch nicht, dass wir uns in Subtraction gleich zu Beginn in einem Auto der Fahrschule Saturn Platz nehmen, deren Inhaberin die junge Farzaneh ist. Es regnet in Strömen in Teheran und die Kamera ruckelt entlang eines Staus von Fahrzeug zu Fahrzeug, als wĂ€re sie auf der nicht minder verstopften Gegenfahrbahn unterwegs. Sie beĂ€ugt kurz die Passagiere, legt wieder ein paar Meter zurĂŒck. Eine Kamerafahrt im wahrsten Sinn und ein urbanes Augenzwinkern an das im iranischen Kino seit Abbas Kiarostamis Endloskurven durch die Landschaft prĂ€sente Fahrzeug. Wie wichtig im Gottesstaat dieser private Zufluchtsort im öffentlichen Raum ist, hat Jafar Pahani 2015 in Taxi Teheran ad absurdum gefĂŒhrt. Angesichts des ihm auferlegten Berufsverbots drehte er gleich einen ganzen Film im Taxi und vermittelte das grosse Gesellschaftsbild auf kleinstem Raum. Heute sitzt er wie viele andere Kunst- und Kulturschaffende, die die Protestbewegung in der noch so harmlosesten Weise unterstĂŒtzen, im GefĂ€ngnis. DIE POLSCHMELZE Die Kamera fĂ€hrt unvermittelt zurĂŒck, scheint in der Gegenkolonne jemanden entdeckt zu haben. Sie dringt ins Innere, und wir finden uns mitten in einem GeplĂ€nkel zwischen Farzaneh und einer FahrschĂŒlerin wieder, deren Fortschritte sich bei diesem Verkehrsaufkommen in Grenzen halten. Sie wundert sich ĂŒber den Dauerregen: «Ist das nun die Polschmelze?» Farzaneh findet das zwar nicht logisch, kann ihren Gedanken aber nicht zu Ende fĂŒhren, weil sie auf der Strasse eine Entdeckung gemacht hat, die sie in Bann zieht. Fluchtartig steigt sie aus dem Auto und in einen Bus, in dem unerklĂ€rlicherweise ihr Ehemann sitzt, der hier nicht sein sollte. Ihre schlimmsten BefĂŒrchtungen scheinen sich zu bewahrheiten, als sie beobachtet, wie der baldige Vater ihres noch ungeborenen Kindes auf ein GebĂ€ude zugeht, wo man ihn zu kennen scheint und er sich kurz darauf am Fenster einer edlen Wohnung mit einer Frau unterhĂ€lt. NatĂŒrlich liegen die Dinge so einfach nicht, wie sich herausstellt, als sie Jalal am Abend zur Rede stellt. Er war den ganzen Tag ausserhalb der Stadt. Farzaneh, der die Schwangerschaft zu schaffen macht, die an depressiven Verstimmungen leidet und Medikamente nimmt, beginnt an ihrer Wahrnehmung zu zweifeln. Ein erster Samen des Zwiespalts ist gesetzt.

Filmstill «Subtraction»
Taraneh Alidoosti in «Subtraction»

Ebenbilder

Sie will aber Gewissheit, schickt erst den Schwiegervater vor und folgt schliesslich Jalal, der sich ebenfalls auf den Weg in die besagte Wohnung gemacht hat. Fliessend wechselt Mani Haghighi nun die Perspektive, wenn wir in der herrlichen Treppenhausszene Zeuge werden von der ersten Begegnung zwischen der Frau namens Bita und Jalal. Sie sind gleichzeitig verwundert und fasziniert, als sie gewahr werden, dass Bita genauso aussieht wie Farzaneh und Jalal offentsichtlich von einer Nachbarin fĂŒr Bitas Mann gehalten wird. So muss er nun als Erstes die Waschmaschine im Haus flicken. Als Farzaneh auftaucht und ihr Ebenbild erblickt, bricht sie ohnmĂ€chtig zusammen. FĂŒr sie ist die Ent - deckung höchst beunruhigend. Jede und jeder reagiert anders auf das Mysterium, und man darf gespannt sein, wie der Letzte im Quartett, Bitas Mann Mohsen, sein Spiegelbild betrachten wird. Dieser steckt aber gerade in ernsthaften Schwierigkeiten, weil er einen GeschĂ€ftspartner spitalreif geprĂŒgelt hat und sich bei ihm und seiner Familie entschuldigen sollte (wozu es hilfreich zu wissen ist, dass eine solche Entschuldigung das Strafmass nach iranischem Recht massgeblich mindert). Weil Mohsen dazu aber zu stolz ist, könnte man das Problem nun ohne sein Wissen elegant mit seinem DoppelgĂ€nger lösen. Die Sache wird immer kniffliger.

Spannend zu verfolgen, wie die beiden iranischen Schauspielstars Taraneh Alidoosti (About Elly von Asghar Farhadi) und Navid Mohammadzadeh (Leila’s Brother von Saeed Roustaee) die Herausforderung der Doppelrollen meistern. Die Spielfreude, die sie an den Tag legen, wenn sie die Unterschiede der Figuren nun nicht vorwiegend durch Ă€ussere Merkmale herausarbeiten, sondern durch feine Nuancen im Charakter, ist ein reinstes VergnĂŒgen. Unweigerlich beginnt sich die oder der geneigte Zuschauende zu achten, wie oft die Filmzwillinge gemeinsam in einer Einstellung zu sehen sind, die hĂ€ufig eine schön kadrierte Nahoder Grossaufnahme ist. Oder man fragt sich, worin sich die beiden Familien unterscheiden, etwa darin, dass Farzaneh und Jalal ein Kind erst erwarten, wĂ€hrend mit dem 7-JĂ€hrigen Sohn von Bita und Mohsen schon ein entzĂŒckender kleiner Mensch mit stolzer Persönlichkeit im Leben steht. Auch vermeintliche Anschlussfehler sollte man nicht vorschnell als solche taxieren. Begleitet von Dauerregen und omniprĂ€senten WasserschĂ€den wirkt die Begegnung unheimlich und ĂŒbermĂ€chtig. Ist die Zukunft in den Alltag eingedrungen und haben wir es hier mit Klons zu tun, oder bricht die Welt gerade sowieso heillos auseinander?

Das DoppelgĂ€nger-Motiv ist in Literatur, Theater und Film beliebt und hat im Laufe der Geschichte mannigfaltige Interpretationen erfahren, wobei man in der KĂŒrze zwei grundsĂ€tzliche Unterscheidungen festhalten kann: In der Verwechslungskomödie steht die physische Ähnlichkeit im Vordergrund. Sie spĂŒrt Gesellschaftsfragen mit Witz nach und erlebte als bissige Politsatire mit Chaplins The Great Dictator einen Höhepunkt. Die vertracktere Persönlichkeitsspaltung nahm literarisch in der deutschen Romantik mit ErzĂ€hlungen von E.T.A. Hoffmann oder Edgar Allan Poe Fahrt auf und fand ihren kunstvollen Höhepunkt vielleicht in Oscar Wildes unĂŒbertroffenem «Bildnis des Dorian Grey». Filmische Umsetzungen, die das Ringen mit der eigenen Persönlichkeit widerspiegeln, die Suche nach oder die Flucht vor dem besseren oder schlechteren Ich, gab es von Dr. Jeckill und Mister Hyde bis zu Dennis Villeneuves Enemy in unzĂ€hligen Varianten, wĂ€hrend der DoppelgĂ€nger im Science Fiction-Film wie etwa in Duncon Jones’ Moon als Klon auf die Ähnlichkeit reduziert der StĂŒtze eines Systems dient oder sich als komplexeres Wesen in Mehrfachwelten bewegen kann wie kĂŒrzlich in Everywhere, Everything, All at Once.

Öffentliche und private Person

Persönlichkeitsspaltung und die Frage der IdentitĂ€t stehen in Subtraction im Zentrum, auf die individuelle Psyche gemĂŒnzt oder als Ich, das sich in einem restriktiven System bedroht fĂŒhlt. Mani Haghighi stellt fest: «Wir leben im Iran, und wie Sie wissen in einer Form der Theokratie, in der es praktisch unausweichlich ist, zwei Leben zu fĂŒhren: Du hast ein privates Leben und ein öffentliches Gesicht.» Was böte sich da besser an, als dies mit einem DoppelgĂ€nger-Plot zu veranschaulichen?

Die zwei Filmpaare offenbaren verschiedene Persönlichkeitsaspekte, wie wir sie alle in uns tragen. Wie gerne zeigt man sich am Anfang einer Beziehung von der besten Seite, bevor sich Risse zeigen und nicht leugnen lassen. So gesehen kann man Subtraction auch als Liebesgeschichte lesen, in der nach dem vollkommenen GegenĂŒber gesucht wird. Sogar eine VermĂ€hlung ist symbolisch angetönt.

Seit seinem ersten Spielfilm Abadan sind Mani Haghighis Inszenierungen ĂŒber Men at Work und Modest Reception an international wichtigen Festivals prĂ€sent; zuletzt liefen A Dragon Arrives! und Khook im Wettbewerb der Berlinale. Der Filmemacher mit Philosphiestudium denkt sich knifflige Lebensfragen aus und setzt sie vor dem Hintergrund seiner kulturellen Herkunft mit ĂŒberschĂ€umender Gestaltungskraft um. Ihn als den AlmodĂłvar des Mittleren Ostens auf der Höhe seiner Zeit zu bezeichnen, wie man hie und da hört, wirkt nicht zu weit gesucht. Substraction harrt nun Ihrer Rechenkunst und dem Sehgenuss im Kino.

Der Trailer zum Film
portrait Mani Haghighi

Mani Haghighi:

Mani Haghighi was born in Tehran in 1969. He studied Philosophy in Montreal for several years before returning to his home country and making his first feature film in 2003 (Abadan). His second film Men at Work was shown at the Berlinale in the Forum of Young Cinema. With Modest Reception â€Š

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