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Filmbesprechung

Die wahre Ware ist der Mensch

Sam ist ein ebenso sensibler wie impulsiver junger Mann, der aus Syrien in den Libanon geflohen ist und zu seiner Geliebten Abeer nach Brüssel reisen möchte. Nur wie? Der renommierte Künstler Jeffrey Godefroy will ihm helfen, indem er ein lebendes Kunstwerk aus Sam macht und ihn so problemlos über die Grenzen bringt. Kaouther Ben Hania brilliert einmal mehr mit ihrem scharfsinnigen und schonungslosen Blick, dieses Mal auf die Kunstwelt und weiterhin auf unsere Gegenwart.

Sie ist weiss und rein, die Welt der Kunst. Die Menschen, die in ihr werktätig sind, tragen weisse Hemden und Krawatten, ihre Hände sind in weisse Samthandschuhe gehüllt, sie bewegen sich langsam durchs Weiss und vorbei an Spiegeln, die das Weiss spiegeln und den Raum unfassbar machen. Der Künstler ist auch da, schaut gerne kurz in den Spiegel, ob er dem Bild entspricht, das er von sich geben möchte, und dirigiert sie mit sanfter Geste, wenn es darum geht, ein Werk an die Wand zu hängen. Das Bild, das da gerade ausgehängt wird, enthält ein Stück Rücken, die Kamera bewegt sich auf es zu. Es ist ein Visum, auf Rücken tätowiert und für den Rahmen konserviert. Filmtitel, Schnitt. Es ist dunkel, ein Rücken liegt auf einem Bett, eine Katze streicht um den Mann, dem der Rücken gehört. An der Türe klopft es, der Mann landet im Knast, wo alles eng ist und Licht eine Rarität. Er soll etwas gesagt haben, was sich unter den herrschenden Umständen nicht ziemt. Wir sind in Syrien, 2011.

Filmstill The Man Who Sold His Skin
Sam Ali und Abeer sind ein Paar aus Raqqa am Euphrat. Es hat sich ewige Liebe versprochen.

Schon zu den Einstiegstiteln macht uns die Tunesierin Kaouther Ben Hania klar, dass sie sich von zwei Welten aus bewegen wird, die sich zur gleichen Zeit auf einem Planeten ausmachen lassen und die viel miteinander zu tun haben, aber nichts miteinander zu tun haben wollen. Eigentlich. Es sei denn. – Der Mann aus dem Knast heisst Sam. Er schafft es, frei zu kommen, flieht aus seiner Heimat und landet wie viele im benachbarten Libanon, gefangen nun in der Situation, Flüchtling zu sein. Der Mann aus dem weissen Haus, das eine Galerie ist in der westlich gelegenen Welt, ist ein Künstler namens Jeffrey Godefroy, der «giftigste, provokanteste und teuerste Künstler auf dem Kunstmarkt», heisst es, und einer, von dem man sagt: «Jesus verwandelte Wasser in Wein, indem er ihn berührte. Godefroy verwandelt wertlose Objekte in Kunstwerke von Millionenwert, nur indem er sie signiert.»

Filmstill The Man Who Sold His Skin
Sam hat es von Syrien in den Libanon geschafft – will aber zu Abeer nach Brüssel

Ist die Kunst tot?

Godefroy selber meint, es gebe Pessimisten, die sagten, die Kunst sei tot, er glaube: «Die Kunst war nie lebendiger als heute. Mit meinem neuesten Kunstwerk erforsche ich eine ganz neue Dimension.» Sein aktuell heiss gehandeltes Kunstwerk ist der Rücken eines Mannes, dem er zur Reisefreiheit verhilft, indem er ihn zum Kunstwerk macht. Der Mann, Sie ahnen es, ist Sam, der Syrer aus dem Knast, Flüchtling und damit nicht nur staaten-, auch statuslos. Er muss nehmen, was es gibt. Und er will eines: Nach Brüssel, weil dort seine Geliebte Abeer lebt, von der Familie zwangsverschachert an einen systemkonformen Botschaftsbeamten.

Der Trailer zum Film

Wie alles auf Erden hat auch das jüngste Werk Godefroys verschiedene Seiten. Da wäre die gute, dass der Künstler dem Geflüchteten zu einem Schengenvisum verhilft. Es wäre die weniger gute, da er dies tut, indem er aus dem Menschen ein Objekt macht. Er tätowiert Sam das Visum auf den Rücken und bringt ihn als Kunstwerk nach Europa. Ganz selbstlos ist der Deal natürlich nicht, wo käme ein Künstler da hin: Sam wird Ausstellungsobjekt und muss als solches im königlichen Museum zu den üblichen Öffnungszeiten öffentlich sitzen. Es gibt anstrengendere Berufe, mag man einwenden. Ja, schon, aber.

Filmstill The Man Who Sold His Skin
Sam mit der Kunstagentin Soraya

Kaouther Ben Hania liess sich von einem realen Fall inspirieren, der 2008 von sich reden machte, «Tim» hiess und dem Künstler Wim Delvoye zuzuordnen ist. Als engagierte Frau und bewusste Zeitgenossin, die uns schon in ihrem Erstling Le challat de Tunis schonungslos und mit satirischer Freude die arabische Männerwelt vorführte, indem sie selber die Geschichte von einem Mann erfand, der in den Strassen von Tunis vor Jahren Frauen die in seinen Augen zu kurzen Röcke aufschlitzte, wollte Ben Hania die Sache mit der Kunstwelt nicht so einfach machen. Schliesslich kann ja jeder von uns seine Haut verkaufen; solange er oder sie das aus freien Stücken macht, ist es ein individueller Entscheid.

Filmstill The Man Who Sold His Skin
Künstler Jeffrey Godefroy präsentiert sein Werk: Sams Rücken.

Im Einklang mit den Regeln der Zeit

Bei Sam und Jeffrey, die fast ein wenig gute Freunde werden und auf alle Fälle in mancherlei und auch überraschender Hinsicht gemeinsame Sache machen, wird man nicht von freier Entscheidung sprechen wollen. Im zynischen O-Ton des Mannes, der in der annehmlicheren Geografie zur Welt kam: «Als Syrer, Afghane oder Palästinenser ist man automatisch Persona non grata. Es richten sich Mauern vor einem auf. Ich habe Sam zu einer Ware gemacht, einer Leinwand. Als solche kann er um die ganze Welt reisen. Denn in der heutigen Zeit ist der Warenverkehr viel freier als der Verkehr von Menschen. Und indem ich ihn zu einer Ware mache, gebe ich ihm die Möglichkeit, im Einklang mit den Regeln unserer Zeit, seine Menschenwürde und Freiheit zurückzuerlangen.»

Filmstill The Man Who Sold His Skin
Sam betrachtet die Werke grosser Meister.

Der Mensch als Ware. Die Filmerin schrieb und inszenierte das klug und ganz schön zugespitzt mit hervorragender Besetzung, allen voran Yahya Mahayni als Sam, Dea Liane als seine Geliebte Abeer, Koen de Bouw, der den absolut abgeklärten Künstler gibt, und eine überraschende Monica Bellucci in der Rolle seiner Dealerin. Die Kunstwelt hat ihr eigenes Licht, mit dem auch sie spielt, auf dass die Bilder und Objekte sich entfalten können. Mit Vivaldi lässt sie tätowieren, mit Puccini Pickel stechen, das Kunstwerk soll rein bleiben, schliesslich will man es verkaufen, am Ende geht's um das, worum sich alles dreht, wohin auch die Spur der Flüchtlinge führt: Geld. Ihr Film verbindet die private Liebesgeschichte und die öffentliche Vermarktung, und Kaouther Ben Hania hält die Freude vor zynischen Zuspitzungen nicht zurück, sie lässt uns an ihr teilhaben. Freiheit ist vielleicht doch nicht nur ein anderer Begriff für «Nichts zu verlieren haben», auch wenn Sam sterben musste, um frei zu sein. Oder war es am Ende anders? Starb das lebende Werk, damit er lebender Mensch sein konnte?

Filmstill The Man Who Sold His Skin
Sam muss stundenlang im Museum posieren.

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