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Im Land des GlĂŒcks
Was ist los im Land des «BruttonationalglĂŒcks»? Als die ersten demokratischen Wahlen in Bhutan anstehen und mit traditionellen buddhistischen Werten kollidieren, verliert die sanftmĂŒtige Bevölkerung ihre innere Mitte. Zum ersten Mal wohnt sie einem Machttheater dieser AusprĂ€gung bei. Nach dem unvergesslichen «Lunana» hat der bhutanische Regisseur Pawo Choyning Dorji mit seinem zweiten Spielfilm «The Monk and the Gun» ein weiteres Juwel und eine wunderbare Politiksatire geschaffen.
Die Roten, die Blauen, die Gelben... die Buddhisten wissen vor lauter Farben nicht, wo ihnen der Kopf steht. Diese Sache mit den demokratischen Wahlen macht die Menschen im kleinen Land im Himalaya, das von Indien und China umrahmt wird, ganz verrĂŒckt. Nach Jahrhunderten der absoluten Monarchie ist die Bevölkerung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert an die Urne gerufen und aufgefordert jene zu wĂ€hlen, die je nach Farbspektrum die ZĂŒgel der Demokratie in die eine oder andere Hand nehmen werden. Genau genommen die einer konstitutionellen Monarchie, von der niemand etwas weiss noch die Vor- und Nachteile kennt. Die Handlung ist im Jahr 2006 angesiedelt. König Jigme Singye Wangchuck hat angekĂŒndigt, zugunsten seines Sohnes abzudanken, sobald der politische Wandel in seinem Land vollzogen ist, was spĂ€testens 2008 der Fall sein soll. Und nun beginnt Machtgier die GemĂŒter zu erhitzen. WĂ€hrend die Leidenschaft fĂŒr die eine oder andere Seite entbrannt ist, nimmt der Alltag nach den buddhistischen Geboten des gegenseitigen Respekts, des Teilens und der Achtung der Natur seinen Lauf.
Die Zeremonie des Lamas
Der Regisseur hat seine Zelte weit weg von den grossen StĂ€dten in Ura aufgeschlagen, einem kleinen Dorf hoch oben in den Bergen, wo die Menschen von den Neuerungen ĂŒberfordert und zunĂ€chst belustigt sind und sich auflehnen, ohne genau zu wissen, warum. Das geht so weit, dass man eine Expertin aus der Stadt ins Dorf schickt, die den Menschen den Akt des WĂ€hlens erklĂ€ren und nĂ€herbringen soll. Zur gleichen Zeit sucht ein US-amerikanischer Sammler den Ort auf. Den BĂŒrger einer der Ă€ltesten Demokratien der Welt hat es hierher verschlagen, weil er heimlich ein seltenes StĂŒck ergattern will. Schliesslich mischt sich auch der grosse Lama ins Geschehen, der am bevorstehenden Vollmond, ganz zufĂ€lligerweise auch der Wahltag, eine besonders wichtige Zeremonie plant.
Die Aufregung erreicht in Anwesenheit der «politischen» Agenten, die es leid sind, einer gleichgĂŒltigen Bevölkerung die Werte der Demokratie zu vermitteln, eines Amerikaners und seines schlauen lokalen Begleiters, der jemandem um jeden Preis eine MĂŒnze abknöpfen will, und eines Mönchen, der eine Waffe fĂŒr seinen Meister sucht, ihren Höhepunkt.
Ruhe und ZĂ€rtlichkeit
Auch wenn die ErzĂ€hlung mit Tempo vorangetrieben wird, wirkt sie nie hektisch. Pawo Choyning Dorji filmt mit der Ruhe und ZĂ€rtlichkeit eines Yasujiro Ozu, macht die Formen der VergĂ€nglichkeit gleichfalls mit stoischer Kraft sichtbar. Die leise Verschiebung von Werten prangert er beinahe unmerklich an. Unter der Linse der Kamera, halbnah in perfekter Distanz, registriert er die kleinste Geste, den flĂŒchtigsten Blick, um den Alltag der Menschen zu zeigen, die sich dem umtriebigen Gang der Welt nicht entziehen können. Im Freien erfreut sich die Kamera zuerst des Panoramas, bevor sie sich unter die Menge mischt, um die Menschen mit ihren aufgewĂŒhlten Emotionen ins Bild zu setzen. Etwa die Wallungen jener zeigt, die sich an den Beschimpfungen und Provokationen bei Versammlungen stören. «Warum bringt ihr uns bei, wie man streitet? Wir sind nicht so!», wirft eine Frau der jungen Beraterin vor, die gekommen ist, ihr Wissen um den politischen Kampf grosszĂŒgig zu verbreiten.
Es liegt dem Filmemacher fern, in diesem freundlichen und fröhlichen Tohuwabohu seine Landsleute blosszustellen, sein Blick ist erfĂŒllt von ZĂ€rtlichkeit. Er filmt die Figuren mit spĂŒrbarer Zuneigung und einem hohen Mass an Respekt. Menschen, die von einer Moderne ĂŒberrascht werden, die ihnen wohl die Arme entgegenstreckt, die sie aber nicht gesucht haben und die sie verwirrt. Frei von Spott bewegt er sich mit Talent und Humor in den Gefilden der Empathie. The Monk and the Gun ist gespickt mit aberwitzigen Szenen und urkomischen Dialogen. Man lacht in der Tat viel ĂŒber die auf den ersten Blick absurden Wortwechsel, die im Spiegel des gesunden Menschenverstands gnadenlos verblassen. VerblĂŒfft von ihrer einfachen und durchschlagenden Logik, ist man zuweilen sprachlos ob den elementaren Argumenten, die voll ins Schwarze treffen. AbgehĂ€rtet von den politischen Diskursen jeglicher Couleur, welche die noblen Werte der Demokratie preisen und gleichzeitig krumme GeschĂ€fte vertuschen, steht man wie betĂ€ubt und unglĂ€ubig vor gewissen Wahrheiten: «In Amerika, der grössten Demokratie der Welt, sind mehr Waffen im Umlauf als Menschen auf der Strasse.» Ach, wirklich? Um eine solche zu finden, muss der Mönch hier kreuz und quer durch das zugegebenermassen kleine Land reisen. Er traut seinen Ohren nicht und fragt sich, was man mit all diesen Waffen anstellen soll.
Vergessen wir nicht, dass die Handlung in einem abgelegenen Dorf spielt, das sich offensichtlich noch nie mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt hat. Denn alles ist nicht Gold, was glĂ€nzt im Staat des BruttonationalglĂŒcks. Die schöne Illusion hĂ€lt sich auch dank dem VerdrĂ€ngen einer Geschichte, die durchaus ihre Schattenseiten aufweist. Bhutan blieb in der Vergangenheit nicht verschont von MachtkĂ€mpfen und blutigen Repressionen, auferlegt vom allmĂ€chtigen König, der die Bevölkerung wohl geeint und einen bescheidenen Staat aufgebaut hat, dabei aber auf Minderheiten keinerlei RĂŒcksicht nahm. Ein König, dessen Macht auf absoluter Herrschaft basierte, auch wenn er Verwaltungsreformen eingefĂŒhrt und die Befugnisse ab 1968 kontinuierlich einem Ministerrat ĂŒbertragen hat. Man darf sich zudem vor Augen halten, dass die Sklaverei in Bhutan erst 1955 abgeschafft und das Verbot von Fernsehen und Internet erst 1999 aufgehoben wurden!
Ich wollte die Welt an dieser einzigartigen Geschichte teilhaben lassen, die zeigt, wie Bhutan die Modernisierung und die Demokratie angenommen hat, denn sie unterstreicht die wunderbare QualitĂ€t der âčUnschuldâș, die wir manchmal mit âčIgnoranzâș verwechseln.
Pawo Choyning Dorji
Schöne Lektion in Menschlichkeit
Wie in Lunana setzt Pawo Choyning Dorji auf Humor und schiesst mit scharfer Munition auf jene, die so genannt fortschrittliche Entwicklungen im Eiltempo durchpeitschen wollen. In Lunana sind wir dem Charme der Kinder an einer Schule am Ende der Welt erlegen, die mit ihrem schelmischen und unschuldigen Blick Jahre erlernter Unterrichtstheorie nichtig und klein erscheinen liessen. Hier unterliegen wir dem Zauber der spirituellen Kraft einer Bevölkerung, die sich in ihrer Welt anzupassen und klug zu arrangieren weiss, die gleichzeitig amĂŒsiert und besorgt dem Sirenengesang lauscht, der ĂŒber den Ăther zu ihnen gelangt.
Pawo Choyning Dorji stellt den gesunden Menschenverstand und eine Lebensphilosophie, die von Zufriedenheit und Leichtigkeit getragen ist, ĂŒber alles. Auch wenn ModernitĂ€t nicht unbedingt mit GlĂŒckseligkeit einhergeht, egal: Unser Blick hat sich erweitert, auf die Modernisierung einer Welt, in der wir weiterhin unseren eigenen Platz suchen.» The Monk and the Gun ist eine schöne Lektion in Menschlichkeit. Ein seltenes und kostbares Juwel.
Pawo Choyning Dorji:
Pawo Choyning Dorji is a writer, photographer and filmmaker from the Kingdom of Bhutan. Pawo's introduction to film came in 2012 when he worked as Khyentse Norbu's assistant for the later's feature Vara â A Blessing. In 2016 he produced the critically acclaimed Bhutanese feature Hema Hema â Sing meâŠ
The Monk and the Gun
Article published: 9. April 2024
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