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Filmbesprechung

Liebe in Zeiten der Dürre

Banel und Adama lieben sich. Sie leben im Norden Senegals in einem kleinen Dorf und sehnen sich nach einem eigenen Zuhause, weg von Familie und sozialen Verpflichtungen. Dies bedeutet jedoch, dass Adama die für ihn vorgesehene Rolle als Dorfvorsteher nicht wahrnehmen kann. Als Adama den Dorfrat von seinem Vorhaben unterrichtet, gerät die gesamte Gemeinschaft in Aufruhr, und der Regen, der eigentlich kommen sollte, bleibt aus. Banel und Adama lernen, dass dort, wo sie leben, kein Platz für Leidenschaft ist, geschweige denn für Chaos.

Banel e Adama
Banel e Adama
Banel e Adama
Banel e Adama

Einer Schönschreibübung gleich schreibt Banel die beiden Namen auf ein Blatt Papier, immer und immer wieder. Banel und Adama. Banel und Adama. Um diese beiden dreht sich der gleichnamige Film. Dies ist nicht die Geschichte einer sich anbahnenden Liebe. Es ist die Geschichte einer grossen Liebe, die zu implodieren droht.

Banel und Adama leben in einem kleinen Dorf im Norden Senegals. Sie sind verheiratet, seitdem Adamas Bruder und Banels erster Ehemann bei einem Unglück verstorben ist. Er trauert ihm manchmal nach, sie nicht, denn es hat ihr ermöglicht, aus einer arrangierten Ehe als zweite Ehefrau auszusteigen und den Mann zu heiraten, den sie wirklich liebt, das Leben zu leben, das sie leben möchte. So hofft sie zumindest.

Doch in ihrer Gemeinschaft sind die Rollen wie so oft bereits ver- teilt. Die Frauen kümmern sich um die Wäsche, die Bepflanzung des Bodens und um die Kinder; die Männer hüten das Vieh. Banel will keine Kinder. Sie will mit Adama die Herde hüten, ihn nicht nur abends in der Dunkelheit ihrer Hütte sehen. Und so suchen sie sich ein Stück Unabhängigkeit von ihrem Clan und von den sozialen Verpflichtungen, die das Dorfleben so mit sich bringt. Dies glauben sie zu finden in zwei mit Sand verschütteten Hütten, unweit des Dorfes. Zuerst mit der Schaufel, irgendwann mitblossenHändenbuddelnsieineinemriesigenSandhügel.Mit der Befreiung dieser Hütten erhoffen sie sich wohl auch ein Stück Befreiung ihrer selbst, von dem ihnen vorgeschriebenen Weg.

Filmstill aus «Banel & Adama»
Banel unter ihrem Lieblingsbaum

Wann ist eine Frau eine Frau?

Ihre Protagonistin Banel ist Rebellin durch und durch. Mit kurzem Haar, ärmellosen Shirts und ohne Kopftuch eckt sie im Dorf an. Wenn sie mit ihrer Steinschleuder und grimmigem Blick die Umgebung ins Visier nimmt, erhaschen wir einen Blick auf ihr wildes Ich, das hinter der Verliebtheit schlummert. Banel spricht aus, was in dieser Gesellschaft eigentlich keinen Platz hat: Sie möchte keine Kinder haben, selbstbestimmt leben. Damit wirft Ramata Toulaye-Sy grosse Fragen zu einem universellen Thema auf. «Bin ich etwa keine Frau?», fragt sich die Protagonistin irgendwann einmal im Film. Ist eine Frau minder Frau, wenn sie kein Kind gebärt? Banels verweigernde Haltung ist umso brisanter in einer Gesellschaft, in der gemäss sozialem Brauch Deszendenzregeln vorherrschen, die etwa die Weitergabe von Eigentum oder die Nachfolge von Ämtern von einer zur nächsten Generation definieren. In ihrem Dorf wird das Amt des Dorfvorstehers patrilinear, also vom Vater zum Sohn weitergegeben, und ausgerechnet ihr Mann Adama soll nun in die Fussstapfen des verstorbenen Vaters treten und seinerseits natürlich einen Nachkommen hervorbringen.

Für mich ist Banel die Tochter der Sonne, sie ist das heilige Feuer. Sie ist ein Wesen, das vom Himmel gefallen ist und zufällig in diesem kleinen Dorf gelandet ist. Banel brennt ständig, mit ihrem ganzen Wesen, weil sie keinen Platz auf der Erde hat.

Ramata-Toulaye Sy

Doch Banel will ihm keine Kinder gebären – und obschon seine Familie insistiert, verweigert Adama auch die für ihn vorgesehene Rolle in der Gemeinschaft. Als wenig später eine schlimme Dürre die Region heimsucht und der erwartete Regen einfach nicht eintreten will, gerät das Liebespaar in einen Zwist mit der Dorfgemeinschaft, und nach und nach auch miteinander. Da Adama sich dem lokalen Brauch verweigert, grollen die Götter, wird vermutet. Während sich Banel fast schon obsessiv in ihre Zukunftsvision hineinsteigert, regen sich in Adama erste Zweifel, ob er die richtige Entscheidung getroffen hat. Und so nimmt ein Drama seinen Lauf, das fast schon aus der griechischen Mythologie stammen könnte.

Der Trailer zum Film

Die Croisette und Afrika

Tut es aber nicht: Der Film ist eine emanzipatorische Fabel, die die Handschrift der neuen Generation afrikanischer Filmemacherinnen trägt. Erst wenige Jahre ist es her, als wir im Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes eine wuchtige Perle aus dem gleichen Land entdecken durften: In Atlantique, dem ersten Film einer schwarzen Regisseurin im Wettbewerb von Cannes überhaupt (2019!), erleben wir die Emigration aus der Perspektive der Zurückgebliebenen. Die traumhaft schön inszenierte Geistergeschichte trug Diop den begehrten Jury-Preis ein. Eher still war es in Cannes hinsichtlich des afrikanischen Filmschaffens dann letztes Jahr, als kein einziger Film aus Subsahara-Afrika ins Programm aufgenommen wurde. Umso erfreulicher, dass dieses Jahr mit Banel & Adama gar ein Erstling im Wettbewerb fungierte. Mati Diop wie auch Ramata-Toulaye Sy sind französisch-senegalesischer Herkunft – sie treten in grosse Fussstapfen, wird ihr Landsmann Sembène Ousmane (1923–2007) doch «der Vater des afrikanischen Kinos» genannt. Sein Film La Noire de. . . war der erste schwarzafrikanische Film, der in Cannes gezeigt wurde. Auch weitere Schlüssel-Filme wie Touki Bouki (Djibril Diop Mambéty, 1973) entstammen der relativ kleinen Filmindustrie.

Filmstill aus «Banel & Adama»
Banel und Adama beim Schwimmen

2023 war nun sozusagen ein Rekordjahr für Filme und Filmschaffende mit Bezug zu Afrika, mit zwei Titeln vom Kontinent im Wettbewerb (Senegal und Tunesien) sowie vier weiteren in der Sektion «Un certain regard». Natürlich wäre es wünschenswert, dass man sich an der Croisette auch mit anderen afrikanischen Ländern befassen würde – die Auswahl in Cannes ist stark auf Filme aus den französischsprachigen Ländern West- und Nordafrikas ausgerichtet, was in keinem Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl und der Stärke der lokalen Filmindustrie steht. Mit Goodbye Julia von Mohamed Kordofani konnte immerhin der Sudan zum erstem Mal an der Croisette vertreten zu sein, auch diesen Erstling wird trigon-film 2024 in die Schweizer Kinos bringen.

Filmstill aus «Banel & Adama»
Banel will unabhängig leben

Wahnsinn oder Traum?

Mit Banel & Adama hat Sy ihren Namen auf die Liste der Filmschaffenden gesetzt, die man im Auge behalten sollte. Gespickt mit einer Prise magischem Realismus und viel Poesie gestaltet sie ein wahres Bijou. Sie erzählt zunächst eher konventionell von dieser Liebesgeschichte, um das Genre danach aufzubrechen. Satte Farben und eine lebendige Geräuschkulisse weichen mehr und mehr der mageren Farbpalette einer Wüstenlandschaft, zusammen mit dem Austrocknen der Natur verschwinden auch die so genussvoll inszenierten Nebengeräusche, das Plätschern des Wassers, das Flirren der Weide, das Turteln der Verliebten. Der Film kann und sollte auch als Weckruf in Bezug auf den Klimawandel gelesen werden, von dem südliche Staaten ungemein stärker betroffen sind, obschon sie weniger dazu beigetragen haben. Der Film macht deutlich, was der Klimawandel mit Gesellschaften anstellt, die überwiegend selbstversorgend und auf ihre Land- und Viehwirtschaft angewiesen sind.

Filmstill aus «Banel & Adama»
Banel und Adama wünschen sich eine gemeinsame Zukunft.

Mit der Dürre wird auch der Wahn verstärkt. Wie ein Mantra rezitiert Banel ihre heiligen Worte: Banel e Adama, Banel e Adama. Die Obsession ist immer noch da. Aber was ist Obsession, und was ist Liebe? Und was, wenn aus liebevoller Obsession Verrücktheit wird?

Zuerst sterben die Kühe, dann die Menschen, und irgendwann muss Adama eine Entscheidung treffen. Und je mehr er sich vom Traum der gemeinsamen Unabhängigkeit entfernt, desto öfter hantiert Banel mit der Steinschleuder, verbrennt auch schon mal ein paar Echsen oder ertränkt eine Fliege in ihrer Spucke. Und am Ende bleibt die Frage: Erliegt Banel ihrem Wahnsinn oder erlebt sie ihren Traum?

Filmstill aus «Banel & Adama»
Banel mit ihrer Steinschleuder
portrait Ramata-Toulaye Sy

Ramata-Toulaye Sy:

Ramata-Toulaye Sy was born to Senegalese parents in France, where she also grew up. She trained as a screenwriter at the Paris film school La Fémis, graduating in 2015. Ramata began writing screenplays in collaboration with experienced filmmakers in small teams. In 2018, she was involved in the scr…

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